Delegierten-Konferenz der Grünen

Ein trotziges Klopfen auf die eigene Schulter

Stand: 15.06.2012, 20:38 Uhr

Ohne störende Zwischentöne hat die grüne Basis in Duisburg den Koalitionsvertrag abgesegnet. Hinter dem Rednerpult reicht die Bandbreite vom trotzigen "Wir sind noch da" bis "Ohne Grün keine Kraft". Nicht die einzige Spitze in Richtung SPD

Von Sven Gantzkow

Kurz hält Sylvia Löhrmann inne, denn das, was die stellvertretende Ministerpräsidentin auf der Landesdelegiertenkonferenz der NRW-Grünen am Freitag (15.06.2012) zu sagen hat, steht nicht im Manuskript. "Zum Thema Nebenabreden ein kurzes Wort", geht sie auf einen Artikel einer Kölner Tageszeitung ein: "Hier soll der Eindruck erweckt werden, die Koalition betreibe Geheimniskrämerei."

Dem Bericht zufolge soll es schriftlich fixierte Nebenabreden zum Koalitionsvertrag geben. Unter anderem seien eine Gebietserweiterung für das Phantasialand in Brühl und eine rot-grüne Billigung des geplanten Braunkohlekraftwerks Niederaußem darin beschlossen. "Natürlich gibt es Absprachen, die nicht im Vertrag geregelt sind", räumt Löhrmann ein, betont aber, dass es sich dabei nur um organisatorische Vorgänge handele. "Und so etwas schriftlich festzuhalten", sagt sie, "ist immer gut, damit die SPD nicht irgendwann unter Gedächtnisverlust leidet."

Die Grünen in Feierlaune

Punkt. Basta. "Sturm im Wasserglas", nennt sie die Aufregung – und erntet dafür Applaus. Der Koalitionsvertrag wird später bei nur einer Gegenstimme und drei Enthaltungen angenommen. In der grünen Feierlaune will man sich auf diesem Parteitag nicht stören lassen. Das Wahlergebnis vom 13. Mai war für die Grünen ein Erfolg – auch wenn der Koalitionspartner prozentual davongezogen ist, während man selbst auf dem Wahlergebnis von 2010 verharrte. Verstecken will man sich deswegen bei den Grünen nicht.

Denn an den Themen kann's nicht gelegen haben, dass die Sozialdemokratie eine Renaissance erlebt hat, da ist sich Grünen-Vorsitzende Monika Düker bei ihrer Eröffnungsrede in der Duisburger Mercatorhalle sicher: Den Wahlerfolg von Rot schiebt sie allein auf die Strahlkraft der Ministerpräsidentin, deswegen heiße das Ergebnis auch nicht, "dass weniger Grün gewollt ist. Jede Kraft braucht ihren Antrieb", wiederholt Düker den Slogan aus dem Wahlkampf.

Eine gehörige Portion Trotz

Es klingt ein wenig trotzig, so, als müssten sie sich immer noch gegen unzählige Widrigkeiten behaupten. Sie hätten gegen den Medienhype um FDP-Star Lindner und die neue politische Kraft, die Piraten, ankämpfen müssen und sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Grünen seien "langweilig und uninteressant" geworden. "Wir haben uns nicht irritieren lassen", sagt Düker.

Dabei hätten die Grünen allen Grund, sich souveräner auf die Schultern zu klopfen. Im Koalitionsvertrag, den SPD und Grüne am Dienstag (12.06.2012) nach 19 Stunden Verhandlungsmarathon vorgelegt haben, hat sich der kleine Koalitionspartner an einigen Stellen durchgesetzt. Drei Minister sind es geblieben. Gemessen am neuen Kräfteverhältnis in der neuen Koalition hätten die Grünen hier durchaus Federn lassen können. Auch im Bereich Energiewende blieb man standhaft: Der grüne Umweltminister Johannes Remmel ist weiterhin für die Erneuerbaren zuständig – obwohl ein eigenes Energieministerium eingerichtet wird. Und auch beim weiteren kostenfreien Kitajahr, einem Herzensanliegen der SPD, behielten die Grünen den längeren Atem: Zwar steht das Vorhaben weiter im Vertrag, aber, so betont Löhrmann, "dafür sind derzeit keine Haushaltsmittel in Sicht". Bedeutet im Klartext: Es wäre ein Wunder, wenn das weitere beitragsfreie Kitajahr bis 2017 käme.

Geschluckte Kröten werden schöngeredet

Sicher, das ein oder andere mussten auch die Grünen schlucken. Polizeireform? Niente. Und auch der Wechsel des grünen Staatssekretärs Horst Becker vom Verkehrsministerium ins Umweltressort, Zuständigkeitsbereich: "ländliche Räume", gilt eher als Strafversetzung. Sein neuer Chef Remmel betont zwar in Duisburg: "In den ländlichen Räumen, da spielt sich NRW ab." Dass er sich seinen neuen Mitarbeiter damit schönreden will, ist irgendwie nicht zu übersehen. 

Dann schon lieber sich am Koalitionspartner abarbeiten: Es sind einige Spitzen, die die SPD sich in den Reden von Düker und Löhrmann einfängt. Sie sind der Motor für den Selbstansporn, in dem man sich an diesem Freitag in Duisburg übt. Ein weiteres Mal zählt Löhrmann vor rund 200 Delegierten die Erfolge von Rot-Grün während der zweijährigen Minderheitsregierung auf: Kommunen gestärkt, Studiengebühren abgeschafft, Klimaschutzgesetz und Nichtraucherschutz seien beschlussreif, der Schulkonsens trage erste Früchte. Alles bekannt, man kann es im Schlaf.

Der Bund ist das Ziel

Die Pläne für die Zukunft? Die Schuldenbremse bis 2020 nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen, die Kraft-Wärme-Kopplung massiv ausbauen, das alles unter dem Druck, eine Milliarde einsparen zu müssen. Sicher, alles wichtige Vorhaben, vor allem im Rahmen des Jahrhundertprojekts Energiewende – aber im Vergleich zu den Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre klingt das eher nach Pflicht denn Kür. Ein anderes, neues Ziel wabert durch den Raum: der Bund. 2013 soll dort der Politik-Wechsel gelingen. Mit Forderungen nach Steuererhöhungen für Besserverdiener und einer Finanztransaktionssteuer sowie der abermaligen Verteufelung des Betreuungsgeldes (Löhrmann: "Wer dafür Milliarden ausgibt, hat nicht alle Tassen im Schrank.") leiten die Grünen nahtlos in den Bundestagswahlkampf über. Keine Atempause, NRW war nur ein Zwischenschritt. Das soll die Botschaft von Duisburg sein.