Gedränge auf der Rampe zum Loveparade-Gelände

Opfer durch Brustquetschungen gestorben

Sitzungsprotokoll belastet Oberbürgermeister

Stand: 27.07.2010, 20:03 Uhr

Medienberichten zufolge belastet ein Sitzungsprotokoll aus dem Duisburger Rathaus Oberbürgermeister Adolf Sauerland schwer. Bereits vier Wochen vor der Loveparade soll das Bauordnungsamt massive Einwände gegen das Sicherheitskonzept erhoben haben. Der Oberbürgermeister stand im Verteiler dieses Protokolls.

In dem Protokoll vom 18. Juni 2010, über das die Zeitungen der WAZ-Gruppe berichten, lehnt Baudezernatsleiter Jürgen Dressler die "Zuständigkeit und Verantwortung" für die vorgelegte Planung ab. In dem Protokoll soll eine Sitzung mit dem Loveparade-Veranstalter Lopavent, der Feuerwehr, dem Ordnungsamt und dem Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe zusammengefasst sein. Darin werde der Streit um die Fluchtwege dokumentiert. Lopavent wehrte sich dem Protokoll zufolge gegen die Vorschrift, bei 220 000 Besuchern 440 Meter Fluchtwege nachweisen zu müssen. Die Firmenvertreter hielten 155 Meter Fluchtweg für ausreichend. Um welche Fluchtwege es sich genau handelt, wird aus dem Papier nicht klar.

Protokoll: Der OB wünscht die Veranstaltung

Aus dem Schriftstück geht weiter hervor, dass der Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe, der an dem Gespräch teilnahm, Druck ausübte: "Herr Rabe stellte in dem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse. Die Anforderungen der Bauordnung, dass der Veranstalter ein taugliches Konzept vorlegen müsse, ließ er nicht gelten." Rabe forderte das Bauordnungsamt, das normalerweise nur Kontrollfunktion hat, auf, "an dem Rettungswegekonzept konstruktiv mitzuarbeiten".

Unrealistische Vorgaben

Die Genehmigung der Stadt Duisburg für die vorübergehende Nutzung des Güterbahnhofs-Geländes, die WDR.de vorliegt, hat augenscheinlich auf unrealistischen Vorgaben für Besucherzahlen beruht. In dem Papier wird die Personenzahl für das Partygelände entsprechend Brandschutzkonzept und Evakuierungsanalyse auf 250.000 Menschen begrenzt. Dagegen rechneten die Planungsfachleute im Arbeitskreis Verkehr mit 700.000 bis 750.000 Besuchern. Nach Angaben von Verantwortlichen wurde in dem Kreis sogar die Anreise von einer Million Besucher für möglich gehalten.

Kritik an Polizei

Nach Einschätzung von Loveparade-Chef Rainer Schaller könnte die Tragödie durch eine verhängnisvolle Anweisung der Polizei ausgelöst worden sein. Schaller kritisierte insbesondere die Einsatzleitung, die seinen Angaben zufolge alle Schleusen vor dem westlichen Tunneleingang habe öffnen lassen. Durch diese Anweisung sei der Hauptstrom der Besucher unkontrolliert in den Tunnel gelangt.

Augenzeugen bestätigten diese Version gegenüber dem WDR. Die Duisburger Polizei hält dem entgegen: "Natürlich möchte Herr Schaller seine Haut retten. Wenn es Zeugen dafür gibt, können diese nur bestätigen, dass Schleusen geöffnet wurden, aber nicht warum. Die Ermittlungen müssen ergeben, ob das nicht vielleicht sogar auf Wunsch der Organisatoren geschah", sagte Sprecher Ramon van der Maart WDR.de.

Ex-Polizeipräsident hatte große Bedenken

Nach WDR-Recherchen hatte die Duisburger Polizei vor der Veranstaltung in mehreren Besprechungen deutliche Bedenken geäußert. Der Veranstalter habe darauf aber nicht reagiert. Vor allem der inzwischen in den Ruhestand gegangene Polizeipräsident Rolf Cebin habe sich wegen Sicherheitsbedenken heftig gegen die Austragung der Loveparade in Duisburg ausgesprochen. Daraufhin habe die Politik Druck auf ihn ausgeübt. Der Duisburger CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg hatte in einem Brief an den damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf die Absetzung des Polizeipräsidenten gefordert.

Mahlberg verteidigte sein damaliges Schreiben am Dienstag (27.07.10): "Natürlich ist es Aufgabe des Polizeipräsidenten, Sicherheitsbedenken anzumelden. Aber doch nicht, wenn der Veranstaltungsort noch gar nicht feststeht." Angesichts der Ereignisse vom Samstagabend würde er diesen Brief heute allerdings nicht mehr so schreiben.

Sauerland: "Keine Warnungen bekannt"

Nach Informationen des "Kölner Stadtanzeigers" hat der Direktor der Berufsfeuerwehr schon im Oktober 2009 in einem Brief an Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland gewarnt, das Gelände am alten Güterbahnhof sei "physikalisch nicht geeignet" für eine Veranstaltung dieser Größenordnung. Sauerland versicherte hingegen bis zuletzt, dass ihm "keine Warnungen bekannt" gewesen seien. Diese Aussage widerspricht nicht nur dem jetzt aufgetauchten Protokoll vom 18. Juni. Schon bei einer Ratssitzung am 25.01.10 zeigte sich SPD-Ratsmitglied Herbert Mettler "sehr erschrocken" über "die weiteren Beschreibungen zu dieser Veranstaltung". Er fragte "sich ernsthaft, wie man die dort beschriebenen Risiken beherrschen wolle". Laut Sitzungsprotokoll war OB Sauerland anwesend.

Gewerkschaft fordert OB-Rücktritt

Als Konsequenz der Loveparade-Katastrophe hat der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, einen Sicherheits-TÜV für Großveranstaltungen gefordert. Die Deutsche Polizeigewerkschaft in NRW will außerdem eine Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses. "Hier muss zügig politische Verantwortung übernommen werden. Und die Verantwortlichen dürfen sich nicht mehr hinter den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verstecken", hieß es in einer Mitteilung. Gewerkschafts-Chef Wendt forderte zudem den Rücktritt von OB Sauerland: "Als Chef der Verwaltung und Stadtoberhaupt trägt er die politische Verantwortung und muss zurücktreten, alles andere wäre ein echter Skandal."