"Das Unternehmen ist überverwaltet"

Interview zur Eon-Krise

Stand: 11.08.2011, 14:00 Uhr

11.000 Stellen will Eon abbauen, Atomausstieg und alte Gaslieferverträge seien die Hauptgründe für die finanzielle Schieflage. Aber führte das tatsächlich zur Krise? Oder hat der Düsseldorfer Energieriese Fehler gemacht? Fragen an einen Energiewirtschaftsexperten.

Die Nachricht vom drastischen Stellenabbau beim Düsseldorfer Energieversorger Eon kam überraschend. Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke spiele eine Rolle, sagte Konzern-Chef Johannes Teyssen am Mittwoch (10.08.2011), außerdem niedrigere Stromerlöse und ungünstige Gaslieferverträge aus der Vergangenheit. Sind das wirklich die Gründe für die Krise? Oder sind die Probleme auch hausgemacht? WDR.de hat mit Helmut Sendner gesprochen. Er ist Chefredakteur von Energie und Management, einer Publikation, die den Energiemarkt speziell in Deutschland beobachtet und bewertet.

WDR.de: Eon hat am Mittwoch (10.08.2011) einen drastischen Stellenabbau angekündigt, als Grund gibt der Konzern die niedrigeren Einnahmen an. Im zweiten Quartal sei man sogar erstmals in die Verlustzone gerutscht. Was genau steckt hinter dieser Krise?

Helmut Sendner: Erstmal natürlich die fehlenden Gewinne aus der Kernenergie und die Belastung durch die Brennelementesteuer. Dann verweist Eon darauf, dass das Vorgängerunternehmen Ruhrgas schlechte Verträge gemacht hat. Wobei man wissen muss, dass Verträge damals schlicht nicht anders zu machen waren. Die Ölpreisbindung an den Gaspreis war festgemauert. Wenn der Markt nun mit Gas überschwemmt wird, ist das weder die Schuld von Eon noch von Ruhrgas. Aber sie müssen aus den alten Verträgen raus. Deswegen rufen sie auch das europäische Schiedsgericht an.

WDR.de: Das sind äußere Einflüsse. Spielen nicht auch interne Probleme eine Rolle?

Sendner: Doch, das Unternehmen ist ein Mammut, und es ging ihm immer gut. Wem es aber immer gut geht, der wird irgendwann träge. Er fühlt sich nicht dazu animiert, unschöne Maßnahmen zu ergreifen, die der Gewerkschaft oder der Öffentlichkeit nicht gefallen könnten. Obwohl ein Stellenabbau oder die Schließung von Standorten längst überfällig gewesen wären, um die Effizienz des Unternehmens zu steigern. Wer zu lange wartet, sieht sich aber plötzlich in Zugzwang: Jetzt bleibt Eon nichts anderes übrig, als zu handeln.

WDR.de: Die Reaktion der Gewerkschaften auf den Stellenabbau war zwar ablehnend, aber insgesamt recht moderat. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Sendner: Ich denke, dass auch auf Gewerkschaftsseite erkannt wurde, dass dem Unternehmen mit den plötzlichen politischen Veränderungen im Frühjahr etwas aufgebürdet wurde, was einerseits nicht jeder richtig findet und andererseits für das Unternehmen einschneidende Folgen hat. Das führt dazu, dass auch ein Arbeitnehmervertreter erkennt, dass einige Standorte in der derzeitigen Form nicht notwendig sind.

WDR.de: Über Eon hieß es bereits häufiger, dass der Personalapparat zu groß sei? Was wäre verzichtbar?

Sendner: Jeder, der das Unternehmen kennt, fragt sich, warum es eine eigene Gesellschaft für Kraftwerke in Hannover gibt. Oder warum in München eine Niederlassung sitzt, von der eigentlich keiner wirklich weiß, was die macht. Wir haben uns heute noch in der Redaktion gefragt, was da passiert. Keiner wusste es. Klar ist nur: Irgendetwas wird dort verwaltet, was man genauso gut in Düsseldorf verwalten kann. Für Hannover gilt das Gleiche.

WDR.de: Was genau meint das Unternehmen eigentlich damit, dass vor allem "Verwaltungsaufgaben" von den Stellenstreichungen betroffen sein werden?

Sendner: Welche Verwaltungsaufgaben gemeint sind, kann ich nicht sagen. Aber genau das ist auch das Problem: Das Unternehmen ist überverwaltet. Es gibt sehr viele Doppelfunktionen - in München bei der Energie AG wird sicherlich der ein oder andere in Hannover mitverwaltet, der sich eigentlich selbst verwalten könnte.

WDR.de: Wo genau muss das Unternehmen umdenken?

Sendner: Das Unternehmen ist momentan auf große zentrale Erzeugung ausgerichtet. Die Zukunft geht aber in die Richtung von mehr dezentraler Leistung: Also beispielsweise würde dann ein Kernkraftwerk mit 1.000 MW durch 1.000 Kraftwärmekopplungsanlagen mit einem Megawatt Leistung ersetzt werden. Dann hätten sie aber 1.000 Anlagen zu verwalten, und das passt nicht zu den Strukturen von Eon. Man sollte nicht denken, dass die Verwaltung von kleinen Kraftwerksstrukturen mehr Arbeitsplätze erfordert. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn das Unternehmen kleine Kraftwerke wirtschaftlich und wettbewerbsfähig halten will, muss es auf automatisierte Vorgänge setzen. Um die Personalreduzierung kommt Eon also nicht rum.

WDR.de: Eigentlich war der Atomausstieg von Rot-Grün schon beschlossen. Erst im vergangenen Jahr wurde er von der schwarz-gelben Bundesregierung verlangsamt. Trifft die plötzliche Kehrtwende im Frühjahr ein langfristig planendes Unternehmen wie Eon tatsächlich so heftig?

Sendner: Ja, klar. Die kalkulierten Gewinne fallen weg. Und nachdem Frau Merkel ohne Not die Laufzeiten verlängert hat, hat sich die Lage für die großen Energieversorger noch einmal grundlegend geändert. Wer in einer solchen Situation genug Energie hat, der stellt sich doch nicht darauf ein, dass er kleine, regenerative Anlagen baut - zumal der Strommarkt in Deutschland wegen politischer Vorgaben und zunehmend umsichtigen Umgang der Endverbraucher immer weiter schrumpft. Solche Umwälzungen zu bewältigen, ist für ein Management schwer. Das muss sich ja auch im Kopf abspielen und nicht nur in den nackten Zahlen.

WDR.de: Vonseiten der Bundesregierung werden regenerative Energien gefördert. Hat Eon diesen Zug verpasst?

Sendner: Die haben einiges sicherlich verschlafen. 2003 habe ich ein Interview mit dem heutigen Eon-Chef Johannes Teyssen geführt. Damals war er gerade Vorstandsvorsitzender der Eon Energie in München geworden. Ich habe ihn damals gefragt: Warum investieren Sie nicht in Wind? Darauf hat er geantwortet, dass das eine Spagatdiskussion sei. Der Spagat bestehe darin, dass man einerseits über die Einspeisevergütung für regenerative Energien Geld vom Staat erhalten könnte. Andererseits kann man aber auch die Investition in Windparks lassen, weil man Windenergie im eigenen Kraftwerkspark nicht braucht. Man produziert ja mit den eigenen Kraftwerken schon genug. Das waren nüchterne Überlegungen eines Managers, der sicherlich nicht ausreichend vorausschauend war.

WDR.de: Bei Bilanzpressekonferenzen besteht hin und wieder der Hang zum Jammern auf hohem Niveau. Steckt Eon tatsächlich in einer handfesten Krise?

Sendner: Ja, definitiv!

Das Gespräch führte Sven Gantzkow.