Langzeit-Risiken des Tagebaus
Braunkohle - Wenn das Wasser wieder steigt
Stand: 20.08.2014, 18:55 Uhr
Erst im Frühjahr hatte sich Rot-Grün auf eine Verkleinerung von Garzweiler II geeinigt. Jetzt warnen die Grünen vor Spätfolgen des Bergbaus im rheinischen Revier. Gefahr bestehe etwa durch ansteigendes Grundwasser. Der Kohlekonzern RWE weist die Kritik zurück.
Von Martin Teigeler
Die Langzeit-Risiken des Braunkohletagebaus in NRW sind nach Meinung der Grünen weitaus größer als angenommen. Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen warnte am Mittwoch (20.08.2014) in Düsseldorf vor "Illusionen" - etwa wenn es um die riesigen Restseen geht, die in den kommenden Jahrzehnten Touristen ins rheinische Revier locken sollen. Eine Visite der NRW-Grünen in ostdeutschen Braunkohle-Gebieten habe gezeigt, dass solche Seen in Sachsen "biologisch praktisch tot" seien. Nach dem Ende des Braunkohle-Abbaus könne es auch im Rheinland zu einem gefährlichen Grundwasseranstieg kommen. In Sachsen habe der Wiederanstieg - entgegen allen Beteuerungen der Betreiber - zu unerwarteten Schäden an Gebäuden sowie negativen Folgen bei der Wasserqualität der Region geführt.
Langzeit-Aufreger Braunkohle
In Nordrhein-Westfalen gibt es drei Tagebaugebiete, die ab 2030 auslaufen. Der Tagebau Inden endet 2030, Garzweiler II 2040 und Hambach 2045. Durch den langen Abbau hat sich der Erdboden laut Aussage der Grünen dort deutlich gesenkt. Nach dem Abbau wird das Grundwasser zudem nicht mehr abgepumpt - mit schwer absehbaren Folgen. Im März 2014 hatte die rot-grüne Regierung überraschend mitgeteilt, dass Garzweiler II verkleinert werden soll. Etwa 300 Millionen von insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle sollen nicht ausgebaggert werden. Dadurch müssten rund 1.400 Menschen weniger aus dem Abbaugebiet umgesiedelt werden als ursprünglich geplant. Der Umgang mit der Braunkohle ist seit Jahrzehnten zwischen Sozialdemokraten und Grünen umkämpft. Die SPD sieht im Tagebau einen wichtigen Energieträger und Arbeitgeber. Die Grünen lehnen Braunkohle hingegen aus ökologischen Gründen strikt ab.
Die Grünen forderten Klarheit für alle Hausbesitzer im rheinischen Revier. "Absenkungen des Bodens und die Grundwasserstände vor Tagebaubeginn" müssten endlich "transparent" in öffentlichen zugänglichen Karten "verzeichnet sein, um Risikogebiete ausweisen zu können", sagte Fraktionschef Priggen. "Bauherren dürfen keine Illusionen gemacht werden, sondern es muss Auflagen geben, die das Risiko so gering wie möglich halten. Dann kann zum Beispiel in einigen Gebieten nur ohne Keller gebaut werden", fügte der Grüne hinzu.
Warnung vor "Verockerung"
Die sogenannte Verockerung - also die zunehmende Braunfärbung - ist bereits in der Spree in Ostdeutschland zum Thema geworden. Die braungelbe Brühe besteht aus Eisenhydroxid und stammt vor allem aus alten Braunkohlegebieten, wo der Stoff von wiederansteigendem Grundwasser ausgewaschen wird. Das Phänomen bedroht die Tierwelt in den Gewässern. "Verockerung ist auch im Rheinischen Revier eine Gefahr, die ähnlich wie in Sachsen und Brandenburg unterschätzt wird", sagte Priggen. Ein weiteres gravierendes Problem sei die "Verseuchung des Grundwassers beispielsweise durch Aluminium in gelöster Form". Nach Ansicht der Grünen ebenfalls ein Problem: Die Stabilität der Böschungen an den Tagebau-Restseen. "Die Abstände der Dörfer zur Kante müssen vergrößert werden. Die doppelte Tagebau-Tiefe ist das Minimum. Das heißt, wir brauchen einen Abstand von deutlich mehr als 100 Meter", sagte Priggen. Auch hier zog der Grüne Ostdeutschland als warnendes Beispiel heran. 60 Prozent der Seen in der Lausitz seien nicht zugänglich. Das Betreten sei bei Lebensgefahr verboten.
RWE sieht keine Gefahren
Der Tagebau-Betreiber RWE Power wehrte sich gegen die Annahmen und Vorwürfe der Grünen. "Im Rheinischen Braunkohlenrevier wird das Grundwasser nicht großräumig über den ursprünglichen, bergbaubedingten Grundwasserspiegel ansteigen. Insofern werden auch keine bergbaubedingten Schäden eintreten", sagte ein RWE-Sprecher auf WDR-Anfrage. Dies habe die Landesregierung erst vor kurzem bestätigt. Auch eine "Verockerung" größerer Fließgewässer werde laut Gutachten im Rheinland aufgrund "anderer hydrogeologischer Gegebenheiten" nicht eintreten. Der Oxidation des Eisensulfids im Grundwasser werde in den aktuellen Tagebauen durch entsprechende Maßnahmen entgegengewirkt. Zudem fügte der RWE-Sprecher hinzu: "Eine erhöhte Gefahr von Grundbrüchen besteht im Umfeld der rheinischen Tagebauen nicht. Im Übrigen sind die geologischen Verhältnissen in Ostdeutschland mit denen im Rheinland nicht vergleichbar." RWE wende pro Jahr "durchschnittlich gut elf Millionen Euro" für die Regulierung von Bergschäden etwa an Gebäuden und Straßen auf.
SPD-Ministerium sieht es anders als Grüne
Das SPD-geführte NRW-Wirtschaftsministerium teilte als Reaktion auf die Grünen-Äußerungen mit. "Im Rheinischen Revier liegen grundsätzlich andere geologische und hydrogeologische Verhältnisse vor als in Sachsen. Dortige Erfahrungen können demensprechend nur sehr begrenzt auf hiesige Verhältnisse übertragen werden", erklärte das Ministerium. "Beim Wiederanstieg des Grundwasserspiegels wird es zu Geländehebungen kommen, bei denen voraussichtlich nicht wieder ganz die ursprüngliche Geländehöhe erreicht wird. Nach den vorliegenden Erkenntnissen werden diese Hebungen in der Regel langsam und gleichmäßig erfolgen", hieß es in einer Stellungnahme. Für die 56 Restseen im Rheinischen Braunkohlenrevier sei "festzuhalten, dass 100 Prozent zugänglich sind", betonte das SPD-Ministerium.