Verschwundene NSU-Akten
Dokumente offenbar bewusst geschreddert
Stand: 11.09.2013, 16:49 Uhr
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat sich in einem Versetzungsstreit auch mit den Hintergründen der Aktenvernichtung beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz im Zuge des NSU-Prozesses beschäftigt. Offensichtlich wurde bewusst getäuscht. Nun wird spekuliert, was der Grund war.
Von Frank Überall
Es geht um jene Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags vorenthalten wurden. Sie waren geschreddert worden. Die Affäre hatte zum Rücktritt von Heinz Fromm, dem Präsidenten des Verfassungsschutzes, geführt.
Beschuldigt wurden im Rahmen der Schredder-Affäre ein Referatsleiter und dessen Vorgesetzte. Die Vorgesetzten waren versetzt worden, hatten dagegen jedoch geklagt. Mit Erfolg. Denn im Sommer 2013 hat das Oberverwaltungsgericht in Münster festgestellt: Die Chefs waren unschuldig, ihre Versetzung deshalb rechtswidrig. Aufsehenerregend ist die Urteilsbegründung, die der Öffentlichkeit noch nicht bekannt ist: Ein Referatsleiter soll die Aktenvernichtung gezielt verschleiert haben. Gegen ihn soll nach WDR-Informationen ein Disziplinarverfahren laufen.
"Über den Zeitpunkt der Vernichtung gewundert"
Die Begründung des Urteils liegt dem WDR vor. Sie liest sich wie ein Sündenregister des früheren Referatsleiters beim Verfassungsschutz, der unter dem Pseudonym "Lothar Lingen" vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte. Demnach hatte er die Aktenvernichtung offenbar angeordnet und durchführen lassen. Seine Vorgesetzten wussten davon nach Feststellung der Richter nichts. Mitarbeiter des Referatsleiters sollen zwar ungläubig nachgefragt haben. Dem Urteil zufolge hatten sie sich "besonders über den Zeitpunkt der Vernichtung gewundert".
E-Mail an die Mitarbeiter
Der Referatsleiter soll den Mitarbeitern gesagt haben, das alles seine Ordnung habe. Akten müssten nach zehn Jahren immer vernichtet werden, so sei es auch hier. Dann jedoch wurde öffentlich bekannt, dass ausgerechnet jene Papiere vernichtet worden waren, die die Kontrolleure im Parlament noch lesen wollten. Sie behandelten den sogenannten Thüringer Heimatschutz und die NPD und hätten womöglich Hinweise auf Hintergründe des NSU zutage fördern können. Als die Akten längst verschwunden waren, schrieb der Referatsleiter eine E-Mail an seine Mitarbeiter. Die Richter am Oberverwaltungsgericht Münster stellten dazu fest: "Es deutet vieles darauf hin, dass der Referatsleiter diese E-Mail geschrieben hat, [...] um die bereits erfolgte Vernichtung zu vertuschen."
"Gegenüber Vorgesetzten verheimlicht"
Die Richter sprachen die Vorgesetzten von jeder Schuld frei: Der Referatsleiter habe sich offensichtlich entschieden, die Aktenvernichtung seinen Vorgesetzten gegenüber zu verheimlichen. Diese hätten keinen Verdacht schöpfen müssen, dass ihr Untergebener eigenmächtig Akten schredderte: "Dass sich ein bis dahin unauffälliger, nicht besonders anleitungs- oder überwachungsbedürftiger Referatsleiter solchermaßen verhält, ist bedauerlich, kann aber nicht vorhergesehen werden."
Was sollte vertuscht werden?
Jetzt wurde immerhin amtlich festgestellt, dass zumindest die Aktenvernichtung im Amt vertuscht werden sollte. Doch was vertuscht werden sollte, ist noch immer unklar. Hartfrid Wolff, Obmann der FDP im NSU-Untersuchungsausschuss, sieht seine Einschätzung bestätigt, dass die Akten bewusst geschreddert wurden. Und Hans-Christian Ströbele von den Grünen meint, der Gerichtsbeschluss bestätige seine Befürchtungen, dass der Referatleiter vorsätzlich gehandelt habe: "Es nährt natürlich den Verdacht, dass in den Akten doch etwas drin war, was entweder dieser Referatsleiter verbergen wollte", so Ströbele.