"Ich bin Nasentropfen-süchtig". Claudia Middelhove steht inzwischen dazu. "Ich nehme das Zeug schon seit 15 Jahren. Irgendwann hab ich mir eingestanden, dass es gar nicht mehr ohne geht." Bis zu zehnmal am Tag sprüht sie sich das abschwellende Mittel in die Nase. Dass das auf Dauer nicht gut sein kann, ahnt sie auch und macht schließlich einen Termin bei ihrem Hals-Nasen-Ohrenarzt in Münster. Ralf Heermann wirkt nicht überrascht: "Sie sind nicht allein. Solche Patienten hab ich hier täglich."
rebound in der Nase
"Länger als zehn Tage sollte man solche Tropfen oder Sprays auf keinen Fall benutzen", sagt Heermann. "Sonst riskieren Sie einen rebound-Effekt". Was das ist, erklärt er so: Der Körper arbeitet gegen die abschwellende Wirkung. Die Nasenschleimhaut wird nun noch besser durchblutet, die Schwellkörper darin dehnen sich aus. "Sie können das mit einem Gummiband vergleichen, das immer weiter ausleiert."
Schlimmste Folge: Stinknase
Die Folge: Man braucht immer höhere Dosen. Die zu bekommen, ist kein Problem, denn abschwellende Nasensprays und -tropfen sind rezeptfrei erhältlich. Als es Claudia Middelhove peinlich wurde, ihr Spray immer in der selben Apotheke zu kaufen, stieg sie um aufs Internet: "Dort konnte ich zehn Packungen auf einmal bestellen, und keiner hat mich ermahnt."
Die Wirkstoffe in abschwellenden Nasensprays oder -tropfen heißen z.B. Naphazolin, Xylometazolin, Oximetazolin oder Phenylephrin. Die extremste Spätfolge ist die so genannte Stinknase, Fachbegriff Ozäna. "Auf der durch den Dauereinsatz von abschwellenden Mitteln trocken gewordenen Nasenschleimhaut gedeihen immer mehr Bakterien – und die sondern faulige Substanzen ab", erklärt Heermann.
Entzug: Wie wird man clean?

Die Nasenschleimhaut muss sich erst wieder erholen
Dagegen hilft nur eins: Abdosieren, am besten über zwei Wochen. Entweder, indem man allmählich auf Kinderpräparate, Inhalationen, Meerwassersprays oder bepantholhaltige Nasensalben umsteigt. Oder, indem man nur noch ein Nasenloch mit den abschwellenden Tropfen versorgt. Heermann empfiehlt vorübergehend auch lokal nur in der Nasenschleimhaut wirksame cortisonhaltige Nasensprays. "Die machen nicht abhängig und bauen die Schleimhaut wieder auf."
Leicht fällt es den meisten Patienten nicht. Das weiß er aus Erfahrung. Patienten, die es sich nicht zutrauen, die zweiwöchige Entwöhnung durchzuhalten, bietet der HNO-Spezialist auch radikalere Therapien an: Mittels Radiofrequenz wird geschwollenes Gewebe erhitzt und zum Schrumpfen gebracht. Oder die Schwellkörper werden operativ verkleinert. Drei Wochen hat man danach Krusten in der Nase, und es kann nachbluten. Beide Eingriffe sind ambulant möglich.
Claudia Middelhove möchte auf jeden Fall den sanften Weg der Entwöhnung gehen. "Wenn ich mir etwas vornehme", sagt sie, "dann schaffe ich es auch!"