Wenn Schwule "umgepolt" werden sollen

Stand: 12.04.2019, 14:51 Uhr

Schwulsein ist heilbar? Es gibt Menschen, die das immer noch glauben und auf eine "Konversionstherapie" setzen. Journalist Timm Giesbers vom Format "reporter" hat einen Selbstversuch gemacht.

Homosexualität ist keine Krankheit und muss auch nicht behandelt werden. Darin sind sich Mediziner auf der ganzen Welt einig. Trotzdem werden "Konversionstherapien" angeboten - mit oft verheerenden Folgen für die Ratsuchenden.

Deswegen gibt es in Deutschland gleich mehrere Vorstöße für ein Verbot. Zu Recht, findet der Journalist Timm Giesbers, der undercover mehrere Beratungsstellen aufgesucht hat.

WDR.de: Sie sind schwul und sagen, dass Sie mit sich selbst im Reinen sind. Warum wollten Sie trotzdem eine Konversionstherapie mitmachen?

Timm Giesbers: Aus journalistischem Interesse. Wir haben gehört, dass es diese Art der Therapie auch in Deutschland gibt und wollten wissen, was da passiert.

Ich habe mich bereit erklärt, mich einzuschleusen, weil ich mich stark genug fühlte, und habe mich bei zwei pseudo-christlichen Vereinen angemeldet.

WDR.de: Wie liefen deren Beratungen konkret ab?

Timm Giesbers

Selbstversuch gewagt: Timm Giesbers

Giesbers: Zusammengefasst gehen solche Berater davon aus, dass vollwertige Männer hetero sind. Und wenn jemand schwul ist, muss bei ihm in der Kindheit offenbar etwas schief gelaufen und die Verbindung zum Vater gestört sein.

Also macht man eine Art Vergangenheitsbewältigung, redet darüber, wie man das aufarbeiten kann.

Es gab aber auch praktische Tipps nach dem Motto: Weil dein Vater nicht da war und du kein Vorbild hattest, musst du möglichst viel Zeit mit möglichst "männlichen" Männern verbringen und möglichst männliche Dinge tun.

Also mutig sein, Abenteuer erleben und auf Sauftour gehen.

Der nächste Schritt wäre gewesen, mich mit einer Frau zu treffen und mit ihr ins Bett zu gehen. Als Test, ob ich das schon schaffe. Solche Tipps waren natürlich vollkommen absurd. Ich habe die Therapie dann auch beendet.

WDR.de: Warum wollen solche Berater Schwule und Lesben überhaupt umpolen?

Giesbers: Weil sie homophob sind, meiner Meinung nach. Meine Theorie ist, dass sie nicht akzeptieren können, dass es eine andere Lebensweise gibt.

Deswegen geht es ihnen darum, die Leute zu verändern, nicht, sie stärker zu machen. Das unterscheidet eine Konversionstherapie auch von einer seriösen Psychotherapie. Die würde versuchen, den Blick auf die Sexualität zu verändern, nicht die Sexualität selbst.

WDR.de: Mit welchen Gefühlen sind Sie aus diesen Sitzungen gegangen?

Giesbers: Mir kam das nicht so nah, weil ich in meiner professionellen Rolle als Journalist unterwegs war. Aber ich war sehr wütend über die Homophobie.

Und die Vorstellung, da sitzt auf diesem Stuhl gleich ein 17-Jähriger, der nicht mit seiner Sexualität klar kommt, Hilfe sucht und so falsch beraten wird, die tat mir im Herzen weh.

WDR.de: Warum?

Giesbers: Da wird ein unglaublicher Druck aufgebaut, weil behauptet wird: "Du hast die Verantwortung, es liegt an dir, dein Leben zu ändern." Aber das stimmt nicht. Viele reagieren mit Depressionen darauf, greifen zu Alkohol oder Drogen. Es gibt auch viele Suizidversuche.

WDR.de: Was würden Sie sich wünschen?

Giesbers: Dass die Konversionstherapie verboten wird. Dann gäbe es eine Handhabe dagegen, und es wäre endlich gesetzlich geklärt, dass Homosexualität keine Krankheit ist, die behandelt werden muss.

Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.

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