Debatte um Sonntagsarbeit

Dürfen Callcenter am Sonntag arbeiten?

Stand: 29.12.2014, 09:38 Uhr

Vor vier Wochen untersagte das Bundesverwaltungsgericht die Sonntagsarbeit in Hessens Callcentern. In NRW ist sie noch erlaubt. Aber die Landesregierung will die Regel möglicherweise kippen. Unternehmen drohen mit Wegzug.

Von Matthias Goergens

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Natürlich äußert sich Walter Benedikt an einem Sonntag zu diesem Thema. Das ist sein Geschäft. Seit 2000 ist er Geschäftsführer des Callcenters "3C-Dialog". Rund 350 Mitarbeiter kümmern sich vor allem um Dienstleistungen - rund um die Uhr, auch am Wochenende. Sein Unternehmen bietet im Auftrag von Energieversorgern technische Unterstützung an. Wenn Telefonanlagen streiken oder die Heizung ausfällt, landen die Kunden bei seinen Mitarbeitern. Sonntagsarbeit ist für Walter Benedikt also nicht nur völlig normal, sondern notwendig: "Wer unsere Dienste sonntags in Anspruch nimmt, hat meist einen triftigen Grund."

Länder müssen ihre Verordnungen überprüfen

In Hessen ist damit aber jetzt Schluss: Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende November wesentliche Teile einer Verordnung des Bundeslandes für unwirksam erklärt. Nach der Entscheidung ist dort Sonntagsarbeit in Videotheken, Bibliotheken, Callcentern sowie Lotto-Annahmestellen nicht mehr zulässig. An diese Vorgaben müssen sich auch die anderen Länder halten, wovon die meisten ähnliche Regelungen haben. Die Gewerkschaft Verdi, die mit zwei evangelischen Gemeindeverbänden geklagt hatte, nannte das Urteil "ein deutliches Signal, dass andere Bundesländer ihre Bedarfsgewerbeverordnungen überprüfen müssen".

Arbeitsminister Schneider sieht wenig Änderungsbedarf

Das NRW-Innenministerium sieht in dem Urteil zunächst keine unmittelbare Auswirkung auf die Bedarfsgewerbeverordnung des Landes. Die Genehmigung von Ausnahmen in Nordrhein-Westfalen habe sich von den Regelungen in Hessen schon sehr stark unterschieden, sagt Landes-Arbeitsminister Guntram Schneider: "Unser Ladenöffnungsgesetz ist ein guter Kompromiss zwischen kulturell notwendiger Sonntagsruhe und veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen." Ausgenommen sei die Regelung für Callcenter, die nach einer Auswertung des Urteils überprüft werden soll. "Hier werden wir zügig auf eine sinnvolle Lösung für die Callcenter in NRW hinarbeiten", heißt es in einer offiziellen Stellungnahme gegenüber dem WDR.

Wenn das Urteil aus Hessen auf NRW übertragen und Sonntagsarbeit im Callcenter verboten wird, will Walter Benedikt mit seinem Unternehmen aus Köln wegziehen: "In die Niederlande oder nach Polen vielleicht. Wir können unseren Kunden ja kaum sagen, dass sie sich für das Wochenende jemand anderen suchen sollen." Denn gerade dafür beauftragten ihn die Firmen ja. Für Walter Benedikt geht das Urteil an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei: "Für ein Haus mit 20 oder 30 Parteien ist es vor allem im Winter auch sonntags sehr interessant, wann und wie die Heizung wieder läuft."

Freier Sonntag für Erholung und Wohlbefinden

Arbeitspsychologen wie Axel Buchner mahnen dagegen an, dass es mindestens einen freien Tag pro Woche geben muss: "Die Erholung braucht jeder Mensch für Körper und Geist gleichermaßen." Sonst nehme die Arbeitsleistung stetig ab, was sich in Müdigkeit und Konzentrationsschwächen zeige. "Der Mensch ist nicht für eine Sieben-Tage-Woche gemacht." Dabei sei es zunächst egal, welcher Wochentag zum Ausruhen gewählt wird, sagt der Professor für Arbeitspsychologie an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Bei genauerer Betrachtung sollte es aber schon der Sonntag sein: "Für das psychische Wohlbefinden spielen auch soziale Gründe eine wichtige Rolle wie Bekanntschaften, Freundschaften und Hobbys." Diese zu pflegen, fällt an einem allgemeinen freien Tag eben leichter.

Viele Menschen arbeiten gerne an Sonn- und Feiertagen

Für das Kölner Callcenter von Geschäftsführer Walter Benedikt ist das kein Problem: Im Vergleich zu den Wochentagen arbeitet dann nur ein Zehntel der Belegschaft, und die Dienste werden reihum verteilt. "Erstaunlicherweise haben wir nie Probleme, Sonn- und Feiertage zu besetzen. Bei vielen passt das gut in den Alltag, außerdem gibt es Zuschläge", sagt Walter Benedikt. Die Lebenseinstellung der Menschen sei eben unterschiedlich, das zeige sich auch bei den Schichten: "Bei uns arbeitet jeder maximal fünf Tage pro Woche. Der eine lieber früh am Morgen, der andere lieber abends und nachts." Bevor die Sonntagsarbeit in seinem Unternehmen verboten werden könnte, wünscht er sich eine genaue Definition der Organisationsform Callcenter: "Störungs-Hotline oder wichtige Dienstleistungen müssen möglich sein. Sonst müssen wir wieder von der deutschen Servicewüste sprechen."

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