20 Jahre: Die Kommissare vom Rhein

Stand: 27.09.2017, 13:58 Uhr

15 Fälle waren geplant, inzwischen haben die Kölner "Tatort"-Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) 70 Morde aufgeklärt. In Jahre übersetzt sind das runde 20. Zum Jubiläum besuchte Christian Gottschalk die beliebten Ermittler an ihrem Arbeitsplatz: im Präsidium in Köln-Ehrenfeld.

Von Christian Gottschalk

Ungewöhnlich viele Menschen tummeln sich im Büro eines Kölner »Tatort«-Kommissars an diesem Sommermorgen. Kostümbildnerinnen und Maskenbildnerinnen fächern sich Luft zu. Regisseur und Regieassistentin schauen gebannt auf den Monitor, der das Bild der Kamera zeigt. Wie immer beim Film sind noch ein bis zwei Leute dabei, deren Aufgabe man nicht sofort erkennt. Sie murmeln gelegentlich in ihre Funkgeräte. Regisseur Sebastian Ko ruft: "Und bitte!". Kriminalhauptkommissar Alfred "Freddy" Schenk alias Dietmar Bär setzt sich im Flur in Bewegung und geht in den Konferenzraum, um mit dem langjährigen Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) darüber zu diskutieren, ob der Fall gelöst ist oder nicht. Komparsen und Komparsinnen in Zivil und in Uniform simulieren Präsidiumsalltag und laufen dekorativ durchs Bild. Holen sich Kaffee beispielsweise.

Eine Pathologie für zwei Teams

Das Motiv "Präsidium" befindet sich in einem nicht ganz taufrischen Verwaltungsgebäude mit Gewerbegebiets-Charme. Das Haus beherbergt übrigens auch die Büros der Münsteraner Kollegen; beide Teams teilen sich die Pathologie im Keller.

Während ihres ersten gemeinsamen Falls beobachteten die beiden Kommissare Ballauf und Schenk (v.l.: Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär) einen Tatverdächtigen auf dem Güterbahnhof.

Die Premiere 1997: Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, l. und Dietmar Bär) ermitteln auf dem Güterbahnhof.

Ganz am Anfang, vor 20 Jahren, war das Set mit dem auffälligen rückwärtig beleuchteten Stadtplan in Ballaufs Büro noch in einer ehemaligen Tiefgarage am Sachsenring in der Kölner Südstadt untergebracht. Der erste gemeinsame Fall von Schenk und Ballauf, "Willkommen in Köln", lief am 5. Oktober 1997 im Ersten und wird jetzt zum Jubiläum noch einmal im WDR Fernsehen gesendet. Man plane "zunächst 15 Folgen", so hatte der WDR damals verlauten lassen. Bis heute waren die beiden Helden 70 Mal zusammen auf Verbrecherjagd. Nur die Münchner können mehr Fälle vorweisen.

"Natürlich hat man eine Beziehung zu diesen Räumlichkeiten", sagt Klaus J. Behrendt, "wir haben hier so viele Folgen gedreht. Leichte Szenen, schwere Szenen, lustige und dramatische." In Ballaufs Büro befinden sich keine persönlichen Gegenstände. Das passt gut zu einer Figur, die jahrelang in Hotels und Pensionen gewohnt hat. Ein großer moderner Schreibtisch sagt: Ballauf ist Chef.

Bei Schenk dagegen stehen Automodelle auf dem Sideboard, diverse Pokale und eine Urkunde vom "22. Deutsch/Belgischen Polizeivergleichs-Schießen 1997". Erster Platz natürlich. Den Schreibtisch, ein grün überstrichenes Holzungetüm, kann Dietmar Bär nicht leiden. Nach 20 Jahren ist er doch etwas angeranzt.

Die Vorteile eines Nachtdrehs

"Es ist ein vertrauter Arbeitsplatz", meint der Schauspieler, "im Laufe der Jahre haben wir in dieser Kulisse den einen oder anderen Meter Film gedreht. Tagsüber oder nachts." Auch wenn man im Film Nacht simulieren kann: Besser wirkt es, wenn wirklich der Mond am Großstadthimmel scheint.

1997 hätte Bär nicht mit einer solchen Dienstzeit gerechnet. "So weit habe ich mit 36 Jahren nicht gedacht, nicht auf 20 Jahre im Voraus." Was er aber damals über seinen neuen Job dachte, lässt sich in einem Artikel der Kölner StadtRevue nachlesen, den der Autor dieser Zeilen damals verfasste. "Es ist natürlich ein Ritterschlag", erzählte der frischgebackene Kriminaloberkommissar 1997, "der Tatort ist eine Institution um Viertel nach acht am Sonntag." Auch Behrendt war stolz: "Das ist das Flaggschiff der ARD, auf das wir jetzt gesetzt worden sind. Wir werden unsere eigenen Figuren auf die Beine stellen und versuchen, dieses Schiff auf Kurs zu bringen."

Glückwunsch!

Prominente gratulieren dem Kölner Tatort-Duo zum 20-jährigen Dienstjubiläum.

Axel Prahl im Portrait

Lieber Klaus, lieber Dietmar,
nun sind es also tatsächlich schon 20 Jahre, die Ihr dabei seid? Wahnsinn! Ich erinnere
mich noch sehr gut, wie wir uns damals in Köln kennenlernten. Das war, glaube ich, 2004, zwei Jahre nach unserem Dienstantritt in Münster. Unser gemeinsamer Freund, Kaspar Heidelbach, führte Regie bei unserer Folge "Eine Leiche zu viel" und hatte uns einander vorgestellt. Ich war damals sehr fasziniert von Eurer Popularität, denn egal, ob in der Ubierschenke beim Fußball gucken, in Restaurants oder sonst irgendwo auf der Straße, überall strahlten Euch die Menschen an, grüßten Euch freudig: "Hallo Ballauf, hallo Schenk!" Die Leute lieben Euch und das, wie ich finde, zu Recht! Ihr seid aber nicht nur großartige Kollegen, sondern auch zwei wunderbare Menschen, die auch ich in mein Herz geschlossen habe.
Allerherzlichsten Glückwunsch zu Eurem Jubiläum! Und jetzt: einschenken und hoch die Tassen!
Axel Prahl

Lieber Klaus, lieber Dietmar,
nun sind es also tatsächlich schon 20 Jahre, die Ihr dabei seid? Wahnsinn! Ich erinnere
mich noch sehr gut, wie wir uns damals in Köln kennenlernten. Das war, glaube ich, 2004, zwei Jahre nach unserem Dienstantritt in Münster. Unser gemeinsamer Freund, Kaspar Heidelbach, führte Regie bei unserer Folge "Eine Leiche zu viel" und hatte uns einander vorgestellt. Ich war damals sehr fasziniert von Eurer Popularität, denn egal, ob in der Ubierschenke beim Fußball gucken, in Restaurants oder sonst irgendwo auf der Straße, überall strahlten Euch die Menschen an, grüßten Euch freudig: "Hallo Ballauf, hallo Schenk!" Die Leute lieben Euch und das, wie ich finde, zu Recht! Ihr seid aber nicht nur großartige Kollegen, sondern auch zwei wunderbare Menschen, die auch ich in mein Herz geschlossen habe.
Allerherzlichsten Glückwunsch zu Eurem Jubiläum! Und jetzt: einschenken und hoch die Tassen!
Axel Prahl

Die vielen Dienstjahre gingen an diesen Figuren nicht spurlos vorbei. "Was die psychische Entwicklung angeht", sagt Klaus J. Behrendt, "ist Ballauf ruhiger geworden. Das geht einher mit einer wachsenden Menschenkenntnis. Eine Frage, die wir gerade in diesem Film thematisieren, ist: Wenn du gerufen wirst als Polizist, ist immer etwas Schlimmes passiert. Was macht das mit dir als Mensch? Entwickelst du dich zu einem verrohten Charakter? Ich glaube, dass Ballauf das schon im Griff hat, aber, es gibt Momente, in denen er schwankt. Er ist ja keine Maschine."

Vom Ober- zum Hauptkommissar

Freddy Schenk hat die Cowboystiefel aus der ersten Folge schon lange abgelegt: "Man wird mit der Figur älter", so Bär, "wir sind keine Comic-Figuren, die alterslos bleiben, wie Spiderman oder Batman, um mal zwei berühmtere Kollegen zu nennen. Schenk steht schon für Beständigkeit. Die Kinder sind älter geworden. Die Familie ist vielleicht in den Jahren etwas in den Hintergrund gerückt. Wenn er eine Uniform tragen würde, hätte er jetzt ein Sternchen mehr." Tatsächlich wurde Schenk vom Kriminaloberkommissar zum Kriminalhauptkommissar befördert.

Von Anfang an folgten die Kölner der "Tatort"-Tradition, gesellschaftliche Konflikte im Krimiformat zu erzählen. Kinderhandel, Wehrmachtsausstellung, Landminen, Armut und Obdachlosigkeit – immer wieder stehen aktuelle Themen im Mittelpunkt. In einem Fall mit Folgen im realen Leben. Nach den Dreharbeiten zur dritten Folge "Manila" gründete das Team mit Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt und "Gerichtsmediziner" Joe Bausch den Verein "Tatort – Straßen der Welt e.V". Gedreht wurde seinerzeit auch an Originalschauplätzen. Die Lebensumstände in den Slums der philippinischen Hauptstadt hatten Crew und Cast so beeindruckt, dass noch in Manila die Idee geboren wurde, eine Hilfsorganisation ins Leben zu rufen.

Der Job der Assis

Natürlich kennt man die Räume aus den Filmen, aber hier am Set wird der Aufbau noch mal klarer. Die ab Hüfthöhe verglasten Büros von Schenk und Ballauf liegen sich gegenüber, und genau dazwischen steht der Schreibtisch der Assistentinnen oder Assistenten. Dieser Arbeitsplatz wurde ein paarmal neu besetzt, aber eigentlich war die Fluktuation eher gering. Die Erste, Anna Loos, hielt als Lissy zehn Jahre die Stellung. Franziska Lüttgenjohann, gespielt von Tessa Mittelstaedt, blieb sogar zwölf Jahre bis zu ihrem dramatischen Abgang 2014: ermordet mit Kabelbinder von Hinnerk Schönemann in der Rolle des Mehrfachmörders und Vergewaltigers Daniel Kehl. Es folgte mit Patrick Abozen als Tobias Reisser der erste schwule "Tatort"-Assistent. Spötter behaupten, die Assis und nicht die Kommissare seien es, die die Fälle lösen, weil sie immer im richtigen Moment über die entscheidende Information verfügen.

In dieser Folge, Arbeitstitel "Mitgehangen" (Redaktion Götz Bolten), hat es ein Mitarbeiter mit dem gelegentlich etwas raubeinigen Schenk nicht leicht. In der Szene, die an diesem Vormittag gedreht wird, entfernt er die Fotos und Hinweise von der Glaswand, denn er denkt, dass der Fall schon aufgeklärt ist. Dafür gibt es einen kleinen Einlauf vom Hauptkommissar. Für ihn stellt sich die Sache nicht so eindeutig dar.

Drehtage im Präsidium

Die Szenen im Präsidium, vor allem die an der "Pinnwand", erfüllen einen dramaturgischen Zweck. "Es ist der Ort, an dem Sachen noch mal erklärt werden", sagt Behrendt. Die Kommissare rekapitulieren den Fall, machen die Handlung für den Zuschauer leichter nachvollziehbar. "Hier in den Büros werden längere Szenen, längere Verhöre gedreht", erklärt der Schauspieler, "die sind teilweise sehr textintensiv." Für die Produktion hat das ganz pragmatische ökonomische Konsequenzen: An den Drehtagen im Präsidium kann man Strecke machen. "Wir haben eine gewisse Minutenzahl Film, die wir an einem Tag schaffen müssen", erklärt Behrendt, "die wird hier in diesen Büros manchmal verdoppelt." So wird Zeit, die bei schwierigen Außendrehs verloren geht, im Präsidium wieder aufgeholt.

Es ist die letzte Folge, die in diesem Haus spielt. Der Mietvertrag läuft aus. Das Präsidium zieht um nach Köln-Marsdorf, dort werden dann Büros und die Pathologie für alle drei WDR-Tatorte – Köln, Münster und Dortmund – eingerichtet. Für die Zuschauer aber ändert sich nichts. Die gesamte Kulisse wird einfach andernorts wieder aufgebaut. Dietmar Bär hofft sehr, dass er dann wenigstens einen neuen Schreibtisch bekommt.

Dieser Artikel erschien zuerst in WDR print.