"Wir wurden sogar aus Telefonzellen heraus angerufen"

Stand: 29.07.2020, 16:21 Uhr

In einem Schwerpunkt beleuchtet funk verschiedene Formen von Extremismus in Deutschland. Reporter taucht für den WDR in die linksradikale Szene ein.

Eine Undercover-Recherche unter Frauen-Hassern, Beiträge über Holocaustleugner*innen, Antifa und Reichsbürger*innen: In einem Schwerpunkt beleuchtet funk diese Woche verschiedene Formen von Extremismus in Deutschland. Zehn funk-Formate sind dabei. Alle Beiträge der Themenwoche werden auf funk.net und auf YouTube unter dem gemeinsamen Hashtag #ExtremLand veröffentlicht.

Für den WDR tauchte reporter in die linksradikale Szene. Julia von Cube, Projektleiterin reporter, erklärt: "Der kürzlich veröffentlichte Bericht des Verfassungsschutzes für 2019 zeigt: In Deutschland steigt die Zahl der Extremisten. Für uns ist es wichtig, zu fragen: Wie gehen wir als Gesellschaft mit diesen extremen Positionen um?" In einer YouTube-Reportage, einem IGTV auf Instagram und einer Snapchat-Reportage begleitet die Community die Reporter Tobias Dammers und Timm Giesbers dabei, wie sie sich mit Mitgliedern der linksradikalen Szene treffen. Ihre Frage: Was wollen Linksextreme für ein Deutschland? Ihr Ziel: Aus verschiedenen Blickwinkeln einen Eindruck vom Meinungsspektrum der Szene bekommen. Ihr Ansatz: Zuhören, Lernen und Verstehen. Projektleiterin Julia von Cube: "Unser Film guckt bewusst nur auf die linke Szene und zieht keine Vergleiche mit der rechten Szene. Die Filme der funk-Extremismus Woche sollen sich ergänzen und aufeinander aufbauen."

Seit Mittwoch (29.7.2020) ist die YouTube-Reportage online, am Donnerstag (30.7.) folgt das IGTV und am Freitag (31.7.) die Snapchat-Reportage. Wir haben mit den Reportern Timm und Tobias über ihre Recherche im linksextremen Umfeld gesprochen, über Anrufe aus Telefonzellen und linke Träumereien.

Linksradikalismus – ein neues Thema für euch?

Timm: Ich habe mich tatsächlich bisher noch nicht mit Linksradikalität beschäftigt. Politische Themen haben wir bei reporter häufig, aber mich so in eine Szene einzugraben, die Journalisten gegenüber auch überhaupt nicht aufgeschlossen ist – das war eine tolle Herausforderung.

Tobias: Als Redakteur bei Westpol kommen mir solche Themen öfters mal unter. Aber für mich war es besonders spannend, ein anderes Format kennen zu lernen: Zu erleben, wie in der Planung und Produktion bei reporter ganz direkt auf die Erzählweise für YouTube und Social Media geachtet wird. Eine quasi Live-on-Tape-Reportage zu einem politisch komplizierten Thema ist echt eine Challenge.

Wie lief das Drehen im linksextremen Umfeld? Gab es Schwierigkeiten?

Tobias: Allein die Kontaktaufnahme war tricky. Wir haben komplett über verschlüsselte Emails Kontakte geknüpft, uns in Telegram-Gruppen eingeschleust und wurden sogar aus Telefonzellen heraus angerufen - von irgendwelchen wildfremden Leuten. Die Vorsichtsmaßnahmen und das Misstrauen in der Szene sind hoch.

Timm: Aber als wir dann Zugänge hatten, war es tatsächlich auch ein kooperatives Arbeiten.

Ihr habt für die Reportage verschiedene Mitglieder der linksradikalen Szene getroffen, habt verschiedene Blickwinkel eingenommen. Welche Erkenntnisse habt ihr für euch gewonnen?

Tobias: Unser Plan war ja wirklich, uns auf die Szene einzulassen - so gut es für kritische Journalisten möglich ist. Wir wollten verstehen: Wie wird da gedacht, gehandelt und debattiert? Hängen bleibt bei mir vor allem ein Eindruck: Links kann man nicht mit Rechts gleichsetzen, aber unterschätzen darf man sie auch nicht.

Timm: Mir sind tatsächlich die klaren Plädoyers für Gewalt, Sachbeschädigungen und Aussagen, die klar die im Grundgesetz geregelte Ordnung in Frage stellen, im Kopf geblieben. Das klingt so nach Klischee, aber nach unserer Ansicht wird tatsächlich so gedacht. Das finde ich sehr erschreckend. Denn die Begründungen formuliert die Szene ganz nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

Das klingt, als wärt ihr oft überrascht worden?! Positiv wie negativ…

Timm: Ganz ehrlich? Negativ überrascht hat mich, dass der Spruch von "linken Träumereien" wirklich zu stimmen scheint. Anders als die Sachen "gegen" die man in der linken Szene ist, sind die Ideen "für" ziemlich schwammig. Einer unserer Gesprächspartner nannte das "Luftschlösser von kommunistischen Paradiesen".

Und eine große Überraschung war sicher auch Corona, oder? Schließlich wurde die Themenwoche deswegen verschoben… 

Timm: Das hat uns tatsächlich die gesamte Planung zerschossen und wir mussten quasi zweimal recherchieren. Wir hatten das Projekt zu Beginn von Corona in den letzten Vorbereitungen für Drehs. Dann ist alles ausgefallen und wir konnten die Arbeit erst im Zuge der Lockerungen wieder aufnehmen. Aber: Das hat sich auch gelohnt, denn in der Zwischenzeit konnten wir uns nochmal tiefer ins Thema graben und es gab frische Zahlen vom Verfassungsschutz, die unseren Film jetzt aktueller machen.

Wir sind unseren Redaktionen bei Westpol und reporter total dankbar, dass wir über die ganze Zeit den Support hatten, das Thema weiterzuverfolgen und dranbleiben konnten.