Thema Künstliche Intelligenz (KI): Wir sprachen mit Dennis Horn vom Innovation Hub, warum ein Medienhaus wie der WDR da ganz genau hinschauen muss.

"Wollen wir das alles?"

Stand: 24.03.2023, 12:03 Uhr

1987 als reines Musikfestival gestartet, gehört die "South by Southwest" in Austin, Texas mittlerweile zur wichtigsten digitalen Konferenz der Welt. Schwerpunkt der diesjährigen Veranstaltung im März: Künstliche Intelligenz (KI). Wir sprachen mit Dennis Horn vom Innovation Hub darüber, warum ein Medienhaus wie der WDR da ganz genau hinschauen muss.

Herr Horn, "South by Southwest" scheint eine Art Wundertüte zu sein mit Comedy-, Film- und Musikfestival, Vorträgen über einen ikonischen Porsche oder den Klimawandel und zugleich Konferenz und High-Tech-Messe. Wie passt das alles zusammen?

Die "South By" ist eine Mischung aus Konferenz und Festival. Sie ist der Kunst, aber auch der digitalen Szene sehr nahe. Das "Interactive Festival" ist eine der wichtigsten digitalen Konferenzen der Welt. Dort ist Twitter großgeworden, viele erfolgreiche Ideen erblickten hier das Licht einer größeren Öffentlichkeit. So haftet der Konferenz eine gewisse Magie an. Nach Austin pilgern jedes Jahr sehr viele Menschen, auch aus dem Silicon Valley. 

Was macht die Veranstaltung für den WDR interessant?  

Das ist jedes Jahr wie ein Blick durchs Schlüsselloch in die Zukunft. Die großen Plattformen und all das, was in diesem Ökosystem im digitalen Raum entsteht, ist für uns zugleich Chance und Herausforderung. Der WDR bewegt sich immer stärker auf diesem Terrain. Gleichzeitig bilden sich dort neue Konkurrenten für uns. Wir müssen die Debatte dazu verfolgen und schauen: Was ziehen wir daraus für Schlüsse? Wo sind Anknüpfungspunkte für uns als Medienhaus? Wie bestehen wir in diesem neuen Medien-Markt, dessen Spielregeln sich gerade erst bilden? Es geht um ein tiefgreifendes Verständnis des Wandels, in dem wir gerade stecken.

Thema Künstliche Intelligenz (KI): Wir sprachen mit Dennis Horn vom Innovation Hub, warum ein Medienhaus wie der WDR da ganz genau hinschauen muss.

Künstliche Intelligenz stand im Mittelpunkt der South by Southwest 2023 in Austin, Texas.

Was könnte Konkurrenz sein? Eigentlich bedient der WDR ja alle wesentlichen Plattformen.

Die Konkurrenz geht einfach immer weiter in die Breite. Wir haben uns über Jahrzehnte als Rundfunkanstalt, die Radio und Fernsehen macht, definiert. Jetzt stoßen wir im digitalen Raum sowohl auf klassische Medienanbieter, die beispielsweise von der Zeitschrift zum digitalen Medium werden, als auch auf die großen Plattformen. Mit all denen konkurrieren wir um das Zeitbudget der Menschen.

Was sind die großen Themen in diesem Jahr? 

Es wird sehr intensiv über die Umwälzungen diskutiert, die die Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz mit sich bringen. Was aus Mediensicht hier das Wichtigste ist, sind die ganzen KI-Generatoren. Text-Generatoren wie ChatGPT sind im Journalismus herausfordernd, weil sie auch immer wieder Unsinn dazu dichten und sich nicht zwingend durch eine hohe Faktentreue auszeichnen. Es gibt auch welche, die aus dem Nichts Bilder und Videos generieren. Das hat natürlich große Konsequenzen für das, was wir als Haus an Bewegtbild produzieren. 

Welche Konsequenzen hat das für den Journalismus an sich und im Besonderen für den WDR? 

Wir müssen klären, wie wir mit dieser Entwicklung umgehen. Sie kommt auf uns zu, ob wir es wollen oder nicht. Wie können wir sie für uns nutzbar machen – und wo sind die Punkte, an denen wir vorsichtig sein müssen, weil der Einsatz dieser Technologie sich auch auf die Glaubwürdigkeit bei unserem Publikum auswirken könnte? Wir haben jetzt die Chance, diese Debatte zu führen und damit auch die Entwicklung von KI-Technologien im Journalismus zu gestalten. 

Thema Künstliche Intelligenz (KI): Wir sprachen mit Dennis Horn vom Innovation Hub, warum ein Medienhaus wie der WDR da ganz genau hinschauen muss.

Kollege KI im Trainingslager: "Was wir im Moment erleben, ist maschinelles Lernen."

Wie ist eigentlich die Definition von KI, ab wann kann man ein Programm "intelligent" nennen?

Richtige künstliche Intelligenz gibt es nicht. Was wir im Moment erleben, ist maschinelles Lernen. Das sind Algorithmen, die in einem sehr engen Aufgabenspektrum programmiert sind und Jobs für uns übernehmen, die wir selbst so einfach oder so schnell nicht umsetzen könnten. Man füttert die Maschine einfach mit riesigen Mengen an Daten. Das ist im Grunde Statistik mit einer enormen Rechenpower. Die Fortschritte, die wir gerade erleben, kommen nicht allein durch einen neuen Forschungsstand. Die haben vor allem damit zu tun, dass die Rechenkapazität viel höher ist als vor ein paar Jahren. Ich zweifle daran, dass das in diesem Tempo weitergeht.

In welchen Bereichen kann ein Medienbetrieb KI anwenden? 

Ich nenne mal ein paar Beispiele aus dem Zukunftsreport, den wir mit dem Innovation Hub veröffentlichen werden. Möglich ist beispielsweise eine KI, die mir automatisch einen groben Schnitt meines Films anlegt. Es gibt Ansätze, dass Künstliche Intelligenz Online-Texte und sogar Drehbücher auf ihre Erfolgswahrscheinlichkeit hin analysieren kann, indem sie in der Vergangenheit schaut, welche Elemente zu welchen Erfolgszahlen geführt haben. Denkbar ist auch eine intelligente Dienstplanung. Oder eine Betriebsarztpraxis-KI. Es gibt Studien, die dafür sprechen, dass junge Menschen gerne erst einmal mit einer Maschine sprechen, weil die Dinge nicht bewertet. Die andere Frage ist natürlich: Wollen wir das alles? 

Wenn alles darauf basiert, was in der Vergangenheit erfolgreich war, wird es dann nicht noch schwieriger, Ideen durchzusetzen, die neu sind? 

Ja, wenn man sich allein darauf verlässt, was die Maschine sagt. Innovation funktioniert nur, wenn Menschen über den Horizont der KI hinweg blicken. 

Thema Künstliche Intelligenz (KI): Wir sprachen mit Dennis Horn vom Innovation Hub, warum ein Medienhaus wie der WDR da ganz genau hinschauen muss.

Dennis Horn: "Innovation funktioniert nur, wenn Menschen über den Horizont der KI hinweg blicken."

Gibt es ethische Grenzen, Bedenken, Probleme beim Einsatz dieser Technik? 

Wir schlagen als Innovation Hub vor, ethische Leitlinien für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz festzulegen. Zum Beispiel ist es wichtig, den Nutzerinnen und Nutzern gegenüber Transparenz zu schaffen, wenn Inhalte mit Hilfe Künstlicher Intelligenz generiert wurden. Es ist wichtig darüber zu sprechen, in welchen Kontexten KI zum Einsatz kommen kann. Vielleicht eher in der Fiktion als im Nachrichten-Geschäft, weil sie dort die Glaubwürdigkeit unterminieren könnte. Ethische Leitlinien sehen wir als einen konstruktiven Weg, mit der unaufhaltsamen Entwicklung der KI umzugehen. Die kommenden zehn Jahre werden große Umwälzungen mit sich bringen. 

Wo im WDR ist KI schon jetzt im Einsatz? 

Der WDR hat schon seit mehreren Jahren Know-how im Bereich KI aufgebaut und eingesetzt. Das ist auch der Grund, warum der WDR für das ARD Kompetenzzentrum für KI zuständig ist. KI kommt zum Beispiel in der crossmedialen Suche zum Einsatz. Archivinhalte werden unter anderen für die Auffindbarkeit mit Hilfe von KI erschlossen.

Die dort genutzte KI können auch Redakteurinnen und Redakteure für lokale Audio- und Video-Files anwenden, um beispielsweise automatisiert ein Transkript zu erstellen. Siehe dazu auch diesen Artikel.

KI wird aber nicht nur für den Einsatz in Redaktionen entwickelt, sondern auch, um unsere Publikumsprodukte zu verbessern. Beispielsweise hat das Kompetenzzentrum für die Mediathek eine KI-basierte Outro-Erkennung gebaut. So kann zukünftig automatisiert die nächste Folge oder Empfehlungen angezeigt werden. Die Mediathek baut sie im Herbst ein, so dass sie dann auch sichtbar ist. Des Weiteren wird Machine Learning, das zur Familie der KI gehört, auch für die Empfehlungslogiken in der Media- und Audiothek eingesetzt. Auch hier ist das KI Kompetenzzentrum aus der Gruppe "Dateneinheit" für den WDR unterwegs. Die seit Mitte März angezeigten Empfehlungen kommen von dem System, das gemeinsam entwickelt wurde.

Ein weiteres Projekt – OpenGPT-X – liegt ebenfalls in der "Dateneinheit". Dabei geht es darum, eine europäische Variante von ChatGPT zu entwickeln. (Anmerkung der Redaktion: Siehe auch den Artikel "Wenn die KI halluziniert".)

Was ändert sich in naher Zukunft für die Mitarbeiter:innen?  

Schwer zu sagen, im Moment ist da ja ein gewisser Hype. Im Idealfall ändert sich, dass wir eine ganze Reihe neuer Werkzeuge und Helferlein für den Arbeitsalltag bekommen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in den kommenden Jahren in unserem Geschäft ein großes Job-Sterben sehen werden. Vor allem aber kommen viele Diskussionen auf uns zu: Welche Teile der Entwicklung machen wir uns wie zunutze? Wo lassen wir lieber die Finger davon? Wie nimmt das Publikum das wahr? Wie verändert die Möglichkeit immer perfekterer Deep Fakes unsere Arbeit? Wie bewahren wir unsere Glaubwürdigkeit? 

Welche Jobs erledigt in zehn Jahren beim WDR eine KI? 

Das kann ich tatsächlich nicht seriös einschätzen. Das realistischste Szenario ist, dass wir hier und da Tools nutzen und wir das nicht mal so zwingend wahrnehmen, weil da gar nicht überall so groß der Aufkleber "KI" drauf ist. Ich erwarte, dass wir relativ ausgeruht diese weitere Entwicklung erleben werden und dass sie sich eher an ganz vielen kleinen Stellen bemerkbar macht und nicht an der einen großen, die alles verändert. 

Heißt das, dass wir den Begriff KI in zehn Jahren gar nicht mehr benutzen? 

Ja, das wäre meine Erwartung. Das wird zu einer Art Standard. Auch heute ist häufig schon KI im Einsatz, ohne dass wir es direkt sehen. 

 Das Interview führte Christian Gottschalk