Jörg Schönenborn

"Wir wollen, dass alles, was passiert ist, rauskommt"

Stand: 13.04.2018, 17:57 Uhr

WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn hat gegenüber der dpa den Vorwurf zurückgewiesen, in Bezug auf die jüngst öffentlich gewordenen Belästigungsfälle untätig gewesen zu sein.

Köln (dpa) - Nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen einzelne Mitarbeiter steht der WDR in der Kritik. Der Vorwurf lautet, dass der Sender Hinweisen unzureichend nachgegangen sei. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur verteidigt Fernsehdirektor Jörg Schönenborn das Vorgehen der Geschäftsleitung.

Frage: In einem zweiten mutmaßlichen Fall von sexueller Belästigung im WDR steht nun zusätzlich noch der Vorwurf im Raum, dass am Ende nicht der Beschuldigte ermahnt wurde, sondern der Hinweisgeber. Ist das tatsächlich so gewesen?

Antwort: Ich will erst einmal sagen, dass mich jeder einzelne Fall sehr betroffen macht und dass es mir damals auch schwer gefallen ist, meine Empörung von dem zu trennen, was wirklich rauszukriegen war. Damals gab es in der Tat von einem Kollegen einen Hinweis, und die damalige Geschäftsleitung hat dann eine sehr aufwendige Untersuchung initiiert. Am Ende hatten wir aber weder einen konkreten Vorwurf, noch namentliche Opfer. Es war zu diesem Zeitpunkt dann auch notwendig, deutlich zu machen, dass ohne Belege diese Anschuldigungen gegenüber Dritten nicht weiter erhoben werden sollten.

Frage: Es hat sich damals also gar kein einziges Opfer gefunden?

Antwort: Wir hatten eine Ombudsperson, die das untersucht und mit möglicherweise Betroffenen gesprochen hat. Sie bekam am Ende von ihnen keine Freigabe, Namen oder konkrete Tatbeschreibungen zu nennen, sodass die Vorwürfe nicht aufgeklärt werden konnten.

Frage: Aber mussten Sie dann so rabiat gegen den Hinweisgeber vorgehen? Das Signal eines solchen Vorgehens kann ja nur sein: Bloß aufpassen mit Hinweisen an die Senderspitze - das kann auf dich selbst ganz übel zurückfallen.

Antwort: Selbstverständlich nehmen wir jeden Hinweis ernst, und das haben wir auch in diesem Fall nachweislich getan. Gleichzeitig hat die damalige Geschäftsleitung versucht, deutlich zu machen, dass es Regeln gibt, die eingehalten werden müssen. Im Mittelpunkt stand aber das dringende Interesse, aufzuklären. Das ist damals leider im Ergebnis nicht gelungen.

Frage: Wie bewerten Sie das? Hätte man nicht noch mehr tun müssen?

Antwort: In dem Fall, über den Sie sprechen, haben wir bis heute kein Wissen über mögliche konkrete Taten. Was jetzt in den letzten Tagen passiert, ist, dass sich in der Presse möglicherweise Betroffene melden. Unser Interesse ist: Wir wollen, dass alles, was passiert ist, rauskommt.

Frage: Aber der Korrespondent, um den es hier geht, ist weiterhin im Dienst?

Antwort: Er ist zurzeit regulär im Urlaub.

Frage: Aber im Prinzip weiter im Dienst?

Antwort: Sie fragen mich nach einem Mitarbeiter, gegen den im Moment in der Presse Vorwürfe erhoben werden, die wir bisher nicht überprüfen konnten. Wir können als Unternehmen daher keine konkreten Angaben machen.

Frage: Aber im ersten Fall, bei dem ehemaligen Auslandskorrespondenten, da ist es doch wohl so gewesen, dass schon viele Jahre Gerüchte herumschwirrten. Hätte man da nicht zumindest dafür Sorge tragen müssen, dass er nicht noch gesteigerte Mitarbeiterverantwortung als Leiter eines Büros bekommt?

Antwort: Als ich Chefredakteur wurde, habe ich nur aufgrund von Gerüchten, die ich vorher gehört hatte, die Überprüfung eines Mitarbeiters mit Hilfe der Personalabteilung veranlasst, weil ich Gewissheit haben wollte. Ich habe damals keinerlei Hinweise bekommen. Und dann gilt natürlich: Man kann einem Mitarbeiter, gegen den es keinerlei Belege gibt, eine berufliche Entwicklung nicht verwehren.

Frage: Werden Sie künftig anders vorgehen?

Antwort: Wir haben vor allem ein Interesse, aufzuklären und ein Klima zu schaffen, in dem klar ist: Wenn etwas vorfällt, haben wir in jedem Fall großes Interesse daran, Hinweise zu bekommen. Wir müssen ein Klima des Vertrauens schaffen.

Frage: Es wird ja von einer "Atmosphäre der Angst" beim WDR geschrieben. Gibt es die?

Antwort: Ich bin diese Woche in vielen Bereichen gewesen, wir haben gestern auch eine große Versammlung gehabt. Ich habe Wut, Traurigkeit und Empörung wahrgenommen, aber auch eine sehr offene Diskussionskultur. Und was mich ermutigt, ist, dass sich unter anderem bei der Anwaltskanzlei, die wir dafür eingesetzt haben, Betroffene melden.

Frage: Aber die Betroffenen melden sich eher bei der Anwaltskanzlei, als bei Ihrer internen Interventionsstelle?

Antwort: Sowohl als auch. Es melden sich Betroffene bei unserer Chefredakteurin Sonia Mikich, es melden sich Betroffene bei unserer Gleichstellungsbeauftragten, beim Personalrat und bei der Anwaltskanzlei.

Frage: Das ist also eine richtige Welle?

Antwort: Welle finde ich ein schwieriges Wort. Was passiert, ist: Durch die Presseveröffentlichung in der vergangenen Woche und die vorhergehende Metoo-Debatte haben viele Frauen den Impuls gehabt: Jetzt möchte ich auch schildern, was mir passiert ist. Und das ist positiv.

Frage: Und das betrifft nicht nur die beiden bisher bekannt gewordenen Fälle, sondern auch andere?

Antwort: Wir verschaffen uns gerade einen Überblick über die neuen Hinweise und prüfen diese mit Unterstützung einer Anwaltskanzlei.

Frage: Wie viele Betroffene haben sich denn bisher gemeldet? Mehr als zehn? Dutzende?

Antwort: Ich kann Ihnen das im Moment nicht sagen. Es sind bei allen Stellen, die ich eben genannt habe, mehrere.

Frage: Wenn sich dann hinterher herausstellt, dass sich der Vorwurf nicht beweisen lässt, muss der oder vor allem die Betreffende dann auch wieder befürchten, dass sie einen Verweis bekommt?

Antwort: Bei uns wird und wurde niemand bestraft, der uns, um Aufklärung möglich zu machen, Hinweise gibt. Das garantiert die gesamte Geschäftsleitung.

Quelle: dpa