Herbsttreffen der Medienfrauen: Drei Resolutionen verabschiedet

Stand: 25.11.2022, 11:35 Uhr

Mit Resolutionen zu den Themen "Hass gegen Frauen", "Frauen in Iran" und "Ungleichheit im Musikbusiness" endete das jährliche Branchentreffen von Mitarbeiterinnen öffentlich-rechtlicher Sender. Rund 350 Teilnehmerinnen formulierten nach spannenden Expert:innengesprächen ihre Forderungen unter anderen an die Intendant:innen von ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutscher Welle und ORF. Der WDR hatte das traditionelle Herbsttreffen der Medienfrauen in diesem Jahr ausgerichtet.

Drei Resolutionen verabschiedet

Britta Frielingsdorf (4.v.l.), WDR-Beauftragte für Gleichstellung und Diversity of People, mit Teilnehmerinnen des Panels „Hass gegen Frauen“ (v.l.): Georgine Kellermann, Marianna Deinyan (Moderation), Dr. Susanne Kaiser, Shanli Anwar (Moderation), Sarah Bora, Mo Asumang und Jessica Agoku

"Attention matters. Mediale Aufmerksamkeit kann Leben retten" – mit diesen Worten beginnt die auf dem diesjährigen Herbsttreffen der Medienfrauen ausgearbeitete Resolution, die"„mehr Berichterstattung über die feministische Revolution in Iran" fordert. Ein darin enthaltender Forderungskatalog nimmt die Intendant:innen von ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutscher Welle und ORF in die Pflicht, die Freilassung in Iran inhaftierter Journalist:innen und die Wiederherstellung der Pressefreiheit zu fordern. Darüber hinaus sollen sie eine kontinuierliche Berichterstattung über die Revolution und auch über die Verbrechen des Regimes sicherstellen. Exil-Iraner:innen, insbesondere Frauen und Angehörige von Minderheiten, sollten dabei mehr zu Wort kommen. "Sensibilisieren Sie Ihre Redaktionen für das Wording und Framing bei der Berichterstattung, um keine Narrative der Islamischen Republik zu übernehmen", heißt es in dem Papier. An die Zivilgesellschaft appelliert die Resolution, Solidarität zu zeigen und die Proteste mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.

Bloggerin und Autorin Mina Khani

Die Bloggerin und Autorin Mina Khani ordnet die aktuellen Ereignisse in Iran ein.

"Wenn Frauen sich im Netz nicht mehr äußern wollen, weil sie mit Hass überschüttet werden, wenn Journalistinnen nicht mehr über bestimmte Themen berichten können, sind nicht nur die jeweiligen Kolleginnen, sondern auch die Pressefreiheit und der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Gefahr", ist eines der Fazits, das in einer Resolution zum Thema "Hass gegen Frauen" gezogen wird. Daraus ergeben sich unter anderem Forderungen nach Unterstützung betroffener fester wie freier Kolleginnen durch Ansprechpersonen, Krisenpläne, juristische Hilfe, Schulungen und Supervisionen. "Lassen Sie recherchieren, wer hinter vermeintlichen 'Shitstorms' steckt", so ein weiterer Appell, "Shitstorms sind kein Naturereignis, sondern oft kuratierte Aktionen gegen einzelne Personen." Darüber hinaus werden Programmformate eingefordert, die über die Bedeutung von Meinungsfreiheit, aber auch über die Folgen von (digitalem) Hass und Diskriminierung aufklären. Egal ob analog oder digital, die Gesellschaft müsse mehr gegen Hass und Gewalt gegen Frauen und gesellschaftliche Minderheiten unternehmen, und die Medien müssen mehr über Hintergründe und gesellschaftliche Strukturen berichten, die Hass und Gewalt ermöglichen, statt die Berichterstattung auf Einzelfälle zu fokussieren.

Forderungen an die Musikindustrie

"Die Musikbranche ist weiterhin ein Boys‘ Club", fasst Initiatorin Elisabeth Furtwängler die Ergebnisse einer Erhebung der MaLisa-Stiftung in Kooperation mit GEMA und Music S Women* zusammen: Die deutschen Wochencharts werden zu 85 Prozent von Männern dominiert, nur 6 Prozent der bei der GEMA gemeldeten Songs sind von Frauen, und der Frauenanteil auf Festivalbühnen liegt bei 16 Prozent. In der dritten verabschiedeten Resolution fordert das Herbsttreffen der Medienfrauen von den Verantwortlichen der Musikindustrie, stereotype Vorurteile zu hinterfragen und weiblichen Nachwuchs gezielt zu fördern. Eine Mindestquote bei Festival Line-ups soll einen höheren Anteil von Frauen und geschlechtsspezifischen Minderheiten garantieren. Die Intendant:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden aufgefordert, für ausgewogene Geschlechterverhältnisse in Playlists und in der musikjournalistischen Berichterstattung zu sorgen. "Drängen Sie bei Vereinbarungen mit Medienpartner:innen und Veranstalter:innen von Festivals oder Konzerten auf Geschlechtergerechtigkeit auf den Bühnen", heißt es abschließend.

Ernste Themen empathisch und engagiert diskutiert

Rund 350 Medienfrauen und Expert:innen hatten an dem Kongress teilgenommen, der in diesem Jahr vom WDR veranstaltet wurde. Britta Frielingsdorf, WDR-Beauftragte für Gleichstellung und Diversity of People, zieht eine begeisterte Bilanz: "Wir hatten tolle Gesprächspartner:innen zu unseren Schwerpunktthemen und engagierte Expert:innen in mehr als 20 Workshops. Das mit unserem Motto gesetzte Ziel -- 'Entsetzen, Empathie, Engagement, Empowerment' – haben wir erreicht. Wir wollten ernste Themen mit Empathie und Engagement diskutieren, und das Herbsttreffen sollte die Teilnehmer:innen stärken. Das ist uns gelungen. Und das freut uns wirklich sehr."

Bilanz

Zieht eine begeisterte Bilanz: Britta Frielingsdorf, Beauftragte für Gleichstellung und Diversity of People

Zum Abschluss des Kongresses wurde der Staffelstab an den MDR übergeben, der im kommenden Jahr das Herbsttreffen ausrichten wird. "Wir treffen uns dann hoffentlich wieder in Präsenz", sagte die Gleichstellungsbeauftragte Claudia Barnhofer-Schuppe und kündigte an, das wichtige Thema "Hass gegen Frauen/Hate Speech" erneut aufzugreifen, und auch die Bereiche Sport und Diversity in den Fokus zu nehmen.

Forderungen an Polizei, Justiz und Politik

In diesem Jahr stand gleich zu Beginn das bewegende Thema "Hass gegen Frauen" auf dem Programm: die Regisseurin Mo Asumang, die WDR-Journalistin Georgine Kellermann und Dr. Susanne Kaiser, Autorin des Buches "Backlash – die neue Gewalt gegen Frauen", wussten über verschiedene Ausprägungen, ob als sexualisierte Beleidigungen im Netz oder transphobe und rassistische Anfeindung bis hin zur Morddrohung zu berichten. "Eine Beleidigung im Netz ist nicht das Gleiche wie eine analoge Beleidigung", betonte Anna Wegscheider, Juristin bei der Beratungsstelle HateAid, im Hinblick auf die viel weitreichenderen Konsequenzen. Das Panel forderte mehr Sensibilität von Polizei, Justiz und Politik bei der Bekämpfung von Hass und Gewalt gegen Frauen, egal ob digital oder analog. Die Musikerin und Influencerin Sarah Bora, die sich aufgrund persönlicher Erfahrungen für Opfer von Gewalt in Beziehungen einsetzt, richtete den Appell an die Medien, Morde an Frauen durch Partner oder Ex-Partner in der Berichterstattung nicht als "Familiendrama", "Beziehungstat" oder "Verbrechen aus Leidenschaft" zu verharmlosen, sondern als Femizide zu bezeichnen. „Die Frauen werden umgebracht, weil sie Frauen sind!", betonte sie. “Eine Beziehung ist keine Rechtfertigung für Gewalt."

Panel „Hass gegen Frauen“

Panel „Hass gegen Frauen“ mit Sarah Bora, Mo Asumang, Georgine Kellermann, Dr. Susanne Kaiser und den Moderatorinnen Shanli Anwar und Marianna Deinyan

"Ein Protest für Selbstbestimmung, nicht gegen Religion"

Durch die Gespräche des Tages führten die COSMO-Moderatorinnen Shanli Anwar und Marianna Deinyan. Anwar, die selbst iranische Wurzeln hat, ordnete mit der Leiterin des Farsi-Programms der Deutschen Welle Yalda Zarbakhch, der Journalistin, Ärztin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi sowie der Bloggerin und Autorin Mina Khani die aktuellen Ereignisse in Iran ein. "Es ist ein Protest für Selbstbestimmung, nicht gegen Religion", erklärte Zarbakhch. Es sei wichtig, sich von Expert*innen beraten zu lassen, damit keine Propaganda des Regimes unreflektiert weiterverbreitet würde, wie etwa der Obduktionsbericht von Jina Mahsa Amini, der die Sittenpolizei entlastete. "Der wurde von deutschen Medien zitiert, als wäre es eine dpa-Meldung. Das war ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer des Regimes", so Sahebi.

Die Musikerin MARI.AMA

Die Musikerin MARI.AMA über ihre Erfahrungen als Frau im Musikbusiness

Im Panel "Ungleichheit im Musikbusiness – wie erreichen wir mehr Präsenz für Künstlerinnen?" berichteten die Musikerinnen Alin Coen, Balbina und MARI.AMA von ihren persönlichen Erfahrungen mit Benachteiligung. "Man hat mich im Corona-Lockdown gefragt, wie es mir damit geht, gar nicht auftreten zu können. Und ich habe geantwortet: So wie immer – jetzt kriegen halt auch die Männer mal mit, wie das ist", erzählte Balbina. "Lange Zeit war es ein ungeschriebenes Gesetz: Im Radio werden nicht zwei Frauen hintereinander gespielt", erklärte Sarah Mibus, Musikplanerin für Hörfunk und TV. Und COSMO-Musikchef Francis Gay bestätigte, dass diese Haltung in der Branche weit verbreitet sei und nicht hinterfragt werde. Der Initiative Keychange für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Musikindustrie, als deren Vertreterin Lea Karwoth auf dem Podium saß, sei es zu verdanken, dass es bei COSMO seit zwei Jahren eine 50/50-Quote in den Playlists gibt. "Wir haben die Pflicht, die ganze Gesellschaft abzubilden“, so Gay, „es ist möglich, es funktioniert und es ist gut!"