TV-Dialoge besser verstehen: WDR testet mit seinem Publikum neues Verfahren

Stand: 25.09.2020, 11:23 Uhr

  • WDR testet mit seinem Publikum neues Verfahren zur Sprachverständlichkeit
  • Machen Sie ab 25. September mit bei Hörtest und Online-Umfrage
  • Testteilnehmer*innen beeinflussen Entwicklungsprozess
  • Innovatives Tool Dialog+ basiert auf Künstlicher Intelligenz

Von Mark Lederer

"Es ist mir schon oft aufgefallen, dass die Musik sehr laut ist", schreibt ein Zuschauer dem WDR. "Die Sprachdialoge sind aber sehr leise und nicht zu verstehen. Ich nehme mir die Sendungen auf, um zurückspulen zu können." Ein anderer hat bereits resigniert: "Man schaltet ab, weil man der Handlung nicht mehr folgen kann." Beschwerden wie diese sind keine Seltenheit und noch weniger betreffen sie nur den WDR. "Es ist ein Problem, das nationale wie auch internationale Fernsehsender seit Jahr und Tag begleitet", erklärt Christian Simon, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Fraunhofer IIS. Zusammen mit Ingenieuren des Instituts und mit Unterstützung des WDR entwickelt er eine technologische Lösung, um die Sprachverständlichkeit von Fernsehsendungen zu verbessern.

Das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Verfahren reduziert Musik, Soundeffekte oder Hintergrundgeräusche einer Tonmischung und rückt das gesprochene Wort in den Vordergrund. "Das Thema Sprachverständlichkeit im Fernsehen ist ein Dauerthema. Eine einfache Lösung hierfür ist dringend notwendig. Der Ansatz ist so konzipiert, dass hierfür keine neuen Empfangsgeräte notwendig werden", betont WDR-Direktor für Produktion und Technik, Wolfgang Wagner, einen wesentlichen Aspekt des innovativen Verfahrens.

Akustische Hürden der Filmproduktion

Doch wieso können einige Zuschauer*innen Dialoge im Fernsehen schlecht verstehen? "Die Antwort darauf beschäftigt Toningenieure seit etlicher Zeit," sagt Volker Koch, WDR-Projektleiter für die Online-Umfrage. Fest stehe, dass das individuelle Hörvermögen nur ein Faktor von vielen ist. Ein weiterer liegt in der Produktion, so Koch. Während das Publikum dem gesprochenen Wort von Talkshows oder Nachrichten mühelos folgen könne, mangele es an der Sprachverständlichkeit besonders bei Spielfilmen.

"Das Tonsignal in fiktionalen Produktionen entsteht in einem kreativen Prozess und besteht nicht nur aus Sprache und Dialogen", erklärt Alfred Riedel, im Projektteam für die Qualität von Dialog + zuständig, die immer aufwendigeren Sounddesigns. Musik, Hintergrundgeräusche und andere Tonsignale seien in den meisten Filmen jedoch unerlässlich, denn erst sie unterstützten die gewünschte Atmosphäre, Stimmung und Dramaturgie.

Zudem entstehen Filme heute meist unter realen Bedingungen statt im Studio - und auch das kann der Dialogqualität schaden. "Es fängt schon beim Location-Scouting an", geht Christian Simon ins Detail. "Die Dreharbeiten finden an Orten statt, die toll aussehen, sich aber schrecklich anhören." Hinter der Kamera könne beispielsweise eine Autobahn entlanggehen, die Störgeräusche verursacht und das Sprachsignal überdeckt. Noch größer wird die Höranstrengung durch schnell gesprochene Texte, nicht vertraute Dialekte sowie gleichzeitiges Sprechen oder Nuscheln der Schauspieler*innen.

Die eine perfekte Mischung gibt es nicht

Auf der Produktionsseite können zudem weitere technische Gründe liegen: Die Tonmischung und die Qualitätskontrolle werden im Studio unter perfekten akustischen Gegebenheiten gemacht. Demgegenüber steht ein Publikum, das den fertigen Film im Wohnzimmer über Audioausgabegeräte unterschiedlicher Art konsumiert: Neben Fernsehlautsprechern nutzen Zuschauer*innen zum Beispiel Soundbars, 5.1-Heimkinosysteme, Handys oder Tablets. Auch aus diesem Grund seien die Wünsche nach einer bestimmten Tonmischung laut Christian Simon hochgradig individuell, was das Fraunhofer IIS schon vor neun Jahren gemeinsam mit der BBC bei Tests in Wimbledon herausgefunden hat. Simon: "Dadurch wissen wir, dass die Zuschauer*innen ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, es gibt keine perfekte Mischung. Man kann es also nicht allen recht machen."

Der jetzt startende Test soll dabei helfen, diese neue Dialog+-Tonmischung so zu gestalten, dass möglichst viele Zuschauer*innen das WDR-Programm mit verringerter Höranstrengung genießen können.

Dialog+ baut Barrieren ab

Das neue Dialog+-Signal soll den ursprünglichen Audio-Mix ohnehin nicht ersetzen, sondern bietet Zuschauer*innen eine zusätzliche Alternative, zu der sie nach Belieben wechseln können. Ein weiterer Vorteil: Dialog+ kann auf neue wie alte Produktionen angewendet werden. "Selbst wenn die Audioelemente einer fertigen Tonmischung nicht einzeln vorliegen, kann Dialog+ das gesprochene Wort in den Vordergrund stellen - eine Funktion, die die Höranstrengung deutlich verringert und Barrieren abbaut", betont Volker Koch.

Das Publikum ist gefragt

Dem WDR ist es wichtig, dass die Sprachverbesserung mit Dialog+ die Programmqualität erhöht und einen Mehrwert für die Zuschauer*innen hat. "In welcher Ausprägung Dialog+ zum Einsatz kommt, können die Zuschauer*innen mit ihren Antworten im Test mitbestimmen", erklärt Stefan Wirts, IT-Experte im WDR-Projektteam. "Sie sind es, die den Entwicklungsprozess zur besseren Sprachverständlichkeit im TV nun aktiv mitbeeinflussen können."

Der WDR lädt Sie ein, an einer Online-Umfrage teilzunehmen. Auf der seit dem 25. September freigeschalteten Website haben Sie die Möglichkeit, zwischen zwei Audiosignalen zu wählen - dem originalen Audiomix und dem technisch optimierten Dialog+. Für ein authentisches Fernseh-Feeling während des kurzen Hörtests werden Videoclips mit der zusätzlichen Tonspur abgespielt: Ausschnitte aus der Dokumentationsreihe "Abenteuer Erde", einem Sportevent und einem "Tatort". Anschließend kann das Publikum neun Fragen zu dem neuen Audiosignal beantworten und so selbst über die Sprachverständlichkeit von Dialog+ urteilen. Das Ergebnis der Online-Umfrage soll dem WDR für die weiteren Planungen wesentliche Informationen geben: wertvolles Feedback mit den Wünschen und Einschätzungen seiner Zuschauer*innen.

Seit dem 25. September sind Hörtest und Online-Umfrage über folgenden Link zu erreichen: