Comeback der 90er

Stand: 05.08.2019, 12:26 Uhr

Am 9. August startete die Sendereihe "Unser Land in den 90ern". Hugo Egon Balder hat die erste Folge eingesprochen und wurde von WDR print dabei begleitet.

In den 90ern wird viel demonstriert in NRW – gegen die Castor-Transporte, Garzweiler, das Schließen der Stahlküchen und Bergwerke und gegen Rechts. Und es wird viel ferngesehen. Christian Gottschalk begleitete TV-Moderator Hugo Egon Balder, Zeitzeuge des Jahres 1990, bei den Sprachaufnahmen.

Pünktlich um 11.30 Uhr erscheint Hugo Egon Balder im Tonstudio in der Kölner Südstadt. Kurz begrüßt der Mann, der 1990 die sonderbare Strip-Show "Tutti Frutti" bei RTL moderierte, Redakteurin Monika Pohl, Autor Lukas Hoffmann, Toningenieur Tizian Satlek und Laura Freialdenhoven von der Produktionsfirma Broadview TV.

Seinen Text hat Balder schon mal durchgelesen, alles prima, Kaffee hatte er schon genug, mit einer Flasche Wasser und dem Manuskript verschwindet er in der Sprecherkabine. Balder spricht ein paar Sätze zum Einpegeln, dann geht es los. Auf dem Bildschirm startet der Timecode unter den 30 Jahre alten Bildern: "Auf in den Westen – 1990. Ministerpräsident Rau bekam neue Kollegen. Die Grünen." Mit diesen Worten beginnt die erste Folge von "Unser Land in den 90ern".

Medienkonsum verändert sich

Nach den Zehnteilern über die 70erund die 80er-Jahre in Nordrhein-Westfalen sind nun also die 90er-Jahre an der Reihe. "Das Jahrzehnt, in dem sich unser Medienkonsum komplett veränderte", sagt Christiane Hinz, Leiterin der Dokumentation Fernsehen. In den Medien trat das noch junge Privatfernsehen seinen Siegeszug an und das "Moorhuhn"-Spiel wurde 1999 in Bochum erfunden.

Auch politisch ist einiges los im Land zwischen der Wiedervereinigung zu Beginn der 90er bis zum Auslandseinsatz deutscher Soldaten in Jugoslawien zum Ende des Jahrzehnts. Für "Unser Land in den 90ern" hat die Redaktion wieder zehn Prominente als Sprecher*innen gewinnen können, für die das jeweilige Jahr eine besondere Bedeutung hat. "Für mich begann das Jahr mit einem neuen Job", spricht Balder seinen Text, "'Tutti Frutti' startete. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen?" Und improvisiert dann einen Satz, der nicht im Manuskript steht: "Naja, ich war jung und brauchte das Geld."

Die Sprecherinnen und Sprecher dürfen den Text ändern und anpassen, denn es ist genau dieser persönliche Tonfall, den sich die Redakteur*innen und die Autor*innen für die Reihe wünschen. Natürlich bemühen sich die Autor*innen mit der Redaktion beim Texten, den Tonfall der Promis zu treffen. Mit der Gesamtkomposition der Filme verfolgt Christiane Hinz mit dem Redaktionsteam ein bestimmtes Ziel: "Wir haben den Anspruch, dass die Zuschauer das Jahr von Anfang bis Ende miterleben können." Ein weiteres Erzählprinzip ist die Perspektive aus der Gegenwart: Was war damals wichtig, was ist heute verschwunden, was hat noch Bestand? Wie schauen wir heute darauf?

Eine Dekade in zehn mal 45 Minuten zu erzählen, das braucht eine Menge Vorbereitung. Insgesamt vier Redakteur*innen und sechs Autor*innen arbeiten sich, lange bevor die erste Drehbuchzeile geschrieben ist, durch Schlagzeilen und Single-Charts. Recherchieren, welche Sportereignisse die Gemüter erregten, welche Persönlichkeiten diese Jahre in NRW prägten. "Und überlegen dann", so Hinz, "wie können wir es erzählen?" Für einen Fernsehfilm nicht ganz unwichtig: Welche Bilder gibt es? Teilweise zeigen die Folgen bisher unveröffentlichtes Privatmaterial. Vieles kommt aus den Archiven des WDR. Ausschnitte aus dem Privatfernsehen – neben "Tutti-Frutti" sorgte 1990 auch die "Mini-Playback-Show" für Gesprächsstoff – unter anderem muss der Sender kaufen.

Wer war noch mal Klaus Kuron?

Allein der Film über 1990 zeigt, wie schnell wir Skandale und Ereignisse vergessen: Da war Klaus Kuron, der in Köln beim Verfassungsschutz arbeitete und acht Jahre für die DDR spionierte, es gab diesen Hormonskandal um Kälberbaron Felix Hying und die 177 Deutschen, die Saddam Hussein nach dem Einmarsch in Kuwait als Geiseln festhielt.

Ein wichtiger Aspekt der Dokumentation sind die Zeitzeugeninterviews, die aktuell für die Reihe gedreht werden. Da erinnern sich Prominente wie Fußballweltmeister Pierre Littbarski ("Ich hatte ja eine spezielle Fehde mit dem Franz.") aber auch normale Leute, wie Katrin und Marcus Hertel, das vermutlich erste Ost-West-Liebespaar in NRW: ("Kann man nachträglich dem Kohl noch dankbar sein." – "Und dem Honecker."). Ein Paar, auf das Autor Lukas Hoffmann durch einen Zeitungsartikel aufmerksam wurde. "Ich bin nach Heiligenhaus gefahren und habe mit den beiden gesprochen. Katrin Hertel war zunächst skeptisch." Im Film ist davon nichts zu merken. Charmant und mit viel Humor erzählen sie und ihr Mann die Geschichte ihrer Liebe.

Hugo Egon Balder spricht seinen Text beinahe in Echtzeit ein. Was viele nicht wissen: Er ist gelernter Schauspieler. Spielte in den 70ern am Schillertheater in Berlin und stand noch in diesem April mit Jochen Busse im Theater am Dom in Köln auf der Bühne. Nur selten muss der Routinier neu ansetzen, weil eine Betonung nicht stimmt oder er sich verhaspelt hat.

Gelegentlich greifen Redakteurin Monika Pohl und Autor Lukas Hoffmann ein, die gemeinsam auch für die Regie zuständig sind. Bitten ihn, einen Satz in einem anderen Tonfall nochmal zu wiederholen. Weniger "nachrichtlich", stattdessen „erzählerischer“ beispielsweise. Balder setzt alles schnell und ohne große Diskussion um. Obwohl er bemerkt, dass man gerade bei heftigen Bildern, wie denen vom Lafontaine- Attentat, eher zurückhaltend sprechen solle. "Aber ich gehe als Zuschauer mehr mit, wenn du wirklich mit dabei bist", argumentiert Hoffmann. "Ja, machen wir", sagt Balder.

Die 90er waren "der Hammer"!

Für den 69-Jährigen persönlich waren die 90er-Jahre "der Hammer". "Ich habe 'RTL Samstag Nacht' produziert, das war natürlich herrlich." Das war wieder kein Kabarett, aber damals definitiv die lustigste Show im deutschen Fernsehen. Der Traum-Job hatte allerdings zur Folge, dass Balder von 1993 bis 1997 im Grunde rund um die Uhr arbeitete. "Da habe ich viele Dinge nicht mitbekommen, das ging so an mir vorbei."

Um die Moderation von "Tutti Frutti" hat er sich übrigens niemals beworben. "Ich bin zu RTL-Chef Thoma ins Büro, weil ich eine Sendung mit Nachwuchs-Kabarettisten machen wollte", erinnert sich Balder, "ich war ja zwei Jahre am Düsseldorfer Kom(m)ödchen mit Harald Schmidt. Wir sind viel rumgereist, kannten viele Leute." Thoma aber hatte andere Pläne und zeigte ihm eine Kassette der italienischen Show „Tuttifrutti“. Balders trockenes Fazit: "Ich bin mit Kabarett rein und mit Titten raus." Der Rest ist, das zeigt diese Folge von "Unser Land in den 90ern", Fernsehgeschichte.

Um 13 Uhr ist die Aufnahme beendet. Tizian Satlek muss jetzt noch einzelne Sätze exakt auf die Bilder schneiden und sich um die Tonmischung kümmern. In den nächsten Tagen wird Michael Kessler vorbeikommen und die Folge über 1991 einsprechen. Das Jahr, in dem er der komische Typ aus "Manta, Manta" war.

Die Sendetermine im Überblick (jeweils freitags, 20.15 Uhr)

09.08.2019: 1990: Wir sind Weltmeister (Sprecher: Hugo Egon Balder)

16.08.2019: 1991: Hollywood in NRW (Sprecher: Michael Kessler)

23.08.2019: 1992: Das Land bebt (Sprecher: Reinhold Beckmann)

30.08.2019: 1993: Am Limit (Sprecherin: Esther Schweins)

06.09.2019: 1994: Auf dem Gipfel (Sprecher: Thorsten Schorn)

13.09.2019: 1995: Liebe und andere Katastrophen (Sprecher: Christian Wunderlich)

20.09.2019: 1996: Zwischen Triumph und Trauer (Sprecher: Manes Meckenstock)

27.09.2019: 1997: Griff nach den Sternen (Sprecherin: Sabine Heinrich)

04.10.2019: 1998: Mit Nussecken zum ESC (Sprecherin: Mariele Millowitsch)

11.10.2019: 1999: Countdown ins neue Jahrtausend (Sprecherin: Cordula Stratmann)