Digitale Müllabfuhr

Stand: 17.05.2018, 11:55 Uhr

Eine internationale WDR-Koproduktion sorgt zurzeit auf Festivals weltweit für Furore. Am 17. Mai kommt der investigative Dokumentarfilm nach seiner Deutschlandpremiere in München in die deutschen Kinos: "The Cleaners".

Jede Minute werden 500 Stunden Video auf Youtube hochgeladen, 450.000 Tweets abgesetzt, 2,5 Millionen Beiträge auf Facebook gepostet. Aber wer sorgt dafür, dass das Netz dabei nicht mit Kinderpornografie, Foltervideos oder anderen Scheußlichkeiten geflutet wird? Der vom WDR koproduzierte Dokumentarfilm "The Cleaners" führt in die Schattenwelt von Billiglohn-ArbeiterInnen auf den Philippinen, die sichten und löschen, was wir nicht sehen wollen oder sollen.

"Delete, delete, ignore, delete, ignore ..." – in ein bis zwei Sekunden entscheiden die Content Moderators philippinischer Dienstleistungsunternehmen, ob ein Bild von einer Social-Media-Plattform gelöscht wird. Ihre Vorgabe: 25.000 Bilder pro Tag nach einem verinnerlichten Kriterienkatalog der Auftraggeber zu checken. "Ich habe Hunderte von Enthauptungen gesehen", erzählt ein Mitarbeiter, der Bilder und Videos sichtet, die von terroristischen Organisationen gepostet wurden. Für die Betreiber der sozialen Netzwerke ist das Problem gelöst, sobald diese gelöscht sind. Aber viele der meist noch jungen "Cleaners" werden die Bilder nicht mehr los, sie leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Es ist ihnen jedoch vertraglich verboten, über ihre Arbeit zu sprechen.

Eine junge Frau geht über eine Müllhalde in den Slums von Manila, wo Menschen nach verwertbaren Zivilisationsresten wühlen. Wenn sie nicht fleißig lerne, so habe ihre Mutter sie immer gewarnt, dann werde sie genau so enden. Sie hat fleißig gelernt. Heute wühlt sie täglich im digitalen Müll, muss sich Videos ansehen, in denen Kinder vergewaltigt werden. Was sie dabei verdient, reicht gerade so zum Überleben.

"The Cleaners" ist ein investigativer Dokumentarfilm, er dringt in eine Welt vor, die bis dahin weitestgehend unbekannt war. Er lässt die Menschen zu Wort kommen, die für uns die Drecksarbeit machen und fragt, was das mit ihnen macht. "Er stellt aber auch die Frage: Wo hört Schutz auf und fängt Zensur an?

Und was bedeutet es für unsere Demokratie, wenn die Verantwortung für die digitale Öffentlichkeit Privatunternehmen überlassen bleibt?", sagt Jutta Krug, die gemeinsam mit Christiane Hinz, der Leiterin der Abteilung Dokumentationen, den Film für den WDR redaktionell betreut hat. Die Löschrichtlinien, die in den Hinterzimmern des Silicon Valley entworfen wurden, versagen regelmäßig, wenn es um Kunst oder Satire geht. Sie berücksichtigen auch nicht, dass dasselbe Video dazu dienen kann, Gewalt zu verherrlichen oder Kriegsverbrechen zu dokumentieren. "Viele glauben, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Das ist nicht so", sagte der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas während einer Podiumsdiskussion über "The Cleaners" beim ARD-Branchentreff "Top of the Docs" im Rahmen der Berlinale.

Doch welches Recht gilt? Was gegen die Gesetze einzelner Länder verstößt, wird für Facebook-Nutzer aus diesen Ländern per Geoblocking unsichtbar gemacht. Darunter fällt etwa in der Türkei derzeit jegliche Kritik an der Regierung. Facebook macht sich damit zum Handlanger repressiver Regime.Einige ehemalige Mitarbeiter von Social-Media-Konzernen haben mittlerweile eine kritische Haltung entwickelt. Für sie ist die einstige Utopie einer vernetzten Welt zum Alptraum geworden. Der ehemalige Design-Ethiker bei Google, Tristan Harris, erzählt im Film von den grundlegenden Mechanismen der Plattformen: Sie verbreiten und verstärken Hass, weil starke Emotionen die meisten Klicks erzielen. "The Cleaners" stößt eine längst überfällige Debatte an. Darüber hinaus hat der Film zu einer eigenen Ästhetik und atmosphärischen Bildsprache gefunden, obwohl er von Menschen vor Bildschirmen handelt. Krug: "Wir haben uns sehr viele Gedanken um das visuelle Konzept gemacht, denn wir hatten den Anspruch, wirklich großes Kino zu machen."

"Der Film zum richtigen Zeitpunkt"

Der Film zum richtigen Zeitpunkt, der von Woche zu Woche an Bedeutung gewinnt und die Debatte um die Datenhoheit in den sozialen Netzwerken noch weiter anheizt und vielleicht auch verschärfen wird", sagt Christiane Hinz. "Wir sind mit dem WDR und arte vor zwei Jahren als erster und größter Senderpartner in das Projekt der Berliner Produktionsfirma Gebrüder Beetz eingestiegen." Mittlerweile wurde der Film in gut 20 Länder verkauft, auch die BBC ist dabei, in Deutschland der NDR und der rbb. Hinz: "Es passiert nicht häufig, dass mit einem deutschen Projekt international so ein großer Wurf gelingt. Das haben wir uns erhofft und freuen uns!"

Mit der viel beachteten Weltpremiere beim renommierten Sundance Film Festival und der Europa-Premiere beim Festival in Rotterdam sorgt "The Cleaners" auf internationaler Festivaltour für Furore. Am 4. Mai wird die Deutschlandpremiere beim Dokfest in München stattfinden, am 17. Mai kommt der Film in die deutschen Kinos. Im Herbst wird er zunächst auf arte, später im Ersten und im WDR zu sehen sein.

Text: Christine Schilha für WDR print.