"Braunkohle 360°" - das nächste große VR-Projekt des WDR startet

Stand: 10.02.2021, 16:00 Uhr

Energiegewinnung kontra Umweltschutz - nirgendwo in NRW wird dieser Konflikt so intensiv ausgetragen wie im Braunkohletagebau Garzweiler und dem benachbarten Hambacher Forst, dem "Hambi". In Virtual Reality (VR) bietet der WDR jetzt allen Nutzer*innen die Möglichkeit, sich selbst ein Bild von der Situation zu machen.

Nach den viel beachteten 360°-Stücken Kölner Dom und Steinkohle-Bergwerk Prosper-Haniel ist "Braunkohle 360°" das nächste große WDR-Angebot für ein intensives VR-Erlebnis. Und mit besonderem Hintergrund. Energiegewinnung, Braunkohleausstieg, Landschaftsverbrauch, Proteste sind die viel diskutierten Stichworte. Programmdirektor Jörg Schönenborn sieht "Braunkohle 360°" denn auch als wichtigen "Baustein für die Meinungsbildung", gerade für die jungen Userinnen und User.

Projektleiter Stefan Domke und Moderatorin Donya Farahani im Gespräch

Zum Start sprachen wir mit Projektleiter Stefan Domke und Moderatorin Donya Farahani über weitere Einzelheiten des Projekts.

Stefan Domke, wie kamt ihr auf das Thema Braunkohletagebau als nächstes VR-Projekt?

Domke: Der Braunkohleabbau verändert die Landschaft bei uns im Westen beträchtlich. Mit Hilfe neuester Technologie können wir das für User:innen erlebbar machen. Sie bekommen die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen und verschiedene Bereiche der Thematik mit zu erleben. Zum Beispiel wie aus Kohle Strom wird, wie die Umsiedlungen der Menschen abgelaufen sind, aber auch wie Aktivist:innen im Hambacher Wald leben. Vor Ort. Dabei können sie interagieren und bekommen keinen Frontalunterricht.

Das ist also die besondere Qualität von VR?

Domke: Genau. Die User:innen entscheiden, welchen thematischen Bereich sie sich anschauen, welchen sie vertiefen möchten. Das VR-Projekt ist ein interaktives Projekt, das flankiert wird von einer viel umfangreicheren Berichterstattung des WDR über die Themen Braunkohle, Umweltschutz und Klimawandel. User:innen können zum Beispiel mit RWE-Mitarbeitern, aber auch mit Demonstrant:innen interaktiv in Kontakt treten und Fragen stellen. Sie können sich ein eigenes Bild machen, und sie erleben das Thema sehr hautnah.

Und User:innen können per Klick ihre eigene Reise durch das riesige Gelände steuern. Das wird doch besonders attraktiv sein.

Domke: Natürlich, diese 360°-Rundumblicke wirken sehr imposant. Das Projekt beinhaltet auch Drohnenaufnahmen. Während eines solchen Flugs über die Tagebau-Landschaft erleben Nutzer:innen sehr eindrücklich, welche Ausmaße der Tagebau Garzweiler hat und wie sehr der Braunkohle-Abbau die Landschaft verändert.

Auch auf spielerische Art beim WDR etwas lernen

 

Donya, was hat dich an der Aufgabe gereizt, durch das Thema und über das Gelände zu führen?

Farahani: Ich bin ja eine Art Gastgeberin. Mal gebe ich Tipps, mal stelle ich Fragen, mal rege ich User:innen an, Fragen zu stellen oder sich nach bestimmten Dingen umzusehen. Ich bin die ganze Zeit dabei - entweder bin ich zu hören, zu sehen oder über einen Chat erreichbar. Das Ganze aber locker, es soll keine steife Veranstaltung sein. Durch das Interaktive hat es auch einen spielerischen Charakter. Wir liefern mit diesem Projekt exklusive Einblicke - innerhalb des Tagebaus, im Hambacher Wald oder auch bei der Umsiedlung. Das hat mich gereizt an diesem Projekt, und ich finde das Ergebnis gelungen.

Wie viele Kolleg:innen sind an dem Projekt beteiligt ?

Domke: Ungefähr ein Dutzend Kolleg:innen war beteiligt. Dass unser Kernteam, bestehend aus Michelle Blum, Thomas Hallet, David Ohrndorf und mir, bereits bei vorherigen 360°-Projekten so gut und kreativ zusammengearbeitet hat, war enorm hilfreich. Und mit der Agentur Kubikfoto, die für die technische und visuelle Umsetzung verantwortlich war, hatten wir erneut Spezialisten im Boot, auf die wir uns fast blindlings verlassen konnten. 

Konnten alles sehen und zeigen, was wir wollten

Wenn man sich die Auseinandersetzungen gerade um den Erhalt des Hambacher Forst vor Augen führt, könnte man vermuten, dass sowohl der Energieversorgungskonzern RWE Power als auch die Gegner des Tagebaus Vorbehalte gegen ein solches Medien-Projekt hatten. Musstet ihr viel Überzeugungsarbeit leisten?

Domke: Wir haben uns auch dieses Mal Zeit gelassen, um mögliche Vorbehalte in aller Ruhe aus dem Weg räumen zu können. Sowohl bei RWE als auch bei den Aktivisten im Hambacher Wald.Und am Ende konnten wir alles sehen und zeigen, was wir sehen und zeigen wollten. Geholfen hat uns sicher auch der Verweis auf das Steinkohle-Projekt. Dadurch haben alle Beteiligten gesehen, dass unser Ziel ist, das Thema Braunkohleabbau so nah und vielfältig wie möglich abzubilden.

Donya, was hat dich unterwegs durch die Welt der Braunkohle besonders beeindruckt? 

Farahani: Die Dimensionen. Es ist extrem beeindruckend, auf der Abbruchkante zu stehen. Vor einem der Tagebau - und hinter einem der Hambacher Wald, von dem nur noch 10 Prozent der ursprünglichen Fläche existieren. Und ich glaube, das vermittelt das Projekt auch. Beim Lesen eines Artikels oder auch auf normalen Fernsehbildern wird das nicht so deutlich. Aber hier stehen die User:innen direkt neben mir, können sich selbst umschauen und haben dadurch die Chance, das alles wirklich mitzuerleben. Ohne ihre Wohnung zu verlassen. Gerade in der Corona-Zeit ein Vorteil.

Die Geschichte von Manheim-alt und Manheim-neu berührt immer noch

Eine immer noch emotionale Geschichte ist ja der Abriss zahlreicher Dörfer, die dem fortschreitenden Tagebau weichen mussten. Wie behandelt ihr dieses Thema?

Farahani: Wir erzählen das am Beispiel von Manheim-alt und Manheim-neu. User:innen haben die Möglichkeit, sich zum Beispiel Manheim-alt anzuschauen. Auch aus der Vogelperspektive. Es sieht ein bisschen aus wie eine Geisterstadt, weil kaum noch Menschen dort wohnen und viele Gebäude abgerissen sind. 

Dort kann man Claudia Jakobs und ihren Sohn Leon kennen lernen. Sie zeigen das Loch, wo früher ihr Haus stand und erzählen, wie der Abriss gelaufen ist. Im Anschluss können User:innen dann nach Manheim-neu, dort sind viele Familien hingezogen. Im Projekt wird klar, was das heißt: Das Ende eines lange gewachsenen Dorfes. Und an anderer Stelle ein komplett neues. Mit neuen Häusern, neuen Straßen, frisch gepflanzten Bäumen. Man kann sich vorstellen, wie emotional der Umzug für viele gewesen sein muss. 

Und wo und wie kann man das alles sehen?

Domke: Einen modernen PC bzw. ein aktuelles Smartphone vorausgesetzt, reicht ein normaler Browser, optimiert ist es für Chrome und Firefox. Die Adresse lautet tagebau.wdr.de. Und wer eine VR-Brille hat: Unbedingt anschließen, aufsetzen - das ist noch beeindruckender.