Polizisten stehen in Köln vor dem Hauptbahnhof neben dem Kölner Dom (Archivfoto 2016)

Silvester in Köln – Die Folgen einer Nacht

Stand: 07.12.2016, 12:50 Uhr

Der Jahreswechsel 2015/16 in Köln ging als Horrornacht in die Geschichte ein. Junge Männer – vorwiegend aus dem Maghreb – bedrängten auf dem überfüllten Bahnhofsvorplatz Frauen und raubten sie aus. 1.200 Anzeigen folgten, etwa die Hälfte davon wegen Sexualdelikten. Ein WDR 5-Feature fragt, was sich dadurch verändert hat.

Die landespolitische WDR-Korrespondentin Daniela Junghans und der »Lokalzeit Köln«-Reporter Jochen Hilgers recherchierten das Jahr über intensiv zu den Ereignissen der Silvesternacht in Köln. Gemeinsam arbeiteten sie nun an dem Dok 5-Feature „Silvester in Köln – Die Folgen einer Nacht“. Im Gespräch erklären die Autoren und die Feature-Redakteurin Leslie Rosin, worauf sie den Fokus gelegt haben.

WDR: Die Silvesternacht löste zahlreiche Debatten aus: über Sexismus im Allgemeinen und den muslimischer Männer im Besonderen, Polizeinotstand, Glaubwürdigkeit von Politik und Medien. Und sie befeuerte die ohnehin aufgeheizte Flüchtlingsdebatte. Wie passt das alles in ein Feature?

Jochen Hilgers

Jochen Hilgers

Rosin: Daniela Junghans sitzt von Beginn an im Untersuchungsausschuss des Landes zu den Vorfällen der letzten Silvesternacht in Köln. Herr Hilgers hatte als Reporter Bereitschaftsdienst an diesem Abend. Beide hatten den Eindruck, dass das Thema viel umfangreicher ist, als sie es in der aktuellen Berichterstattung darstellen können. Deshalb kamen sie auf mich zu. Auch, um ihre Recherchen noch weiter vertiefen zu können.
Hilgers: Wir sind ja seit Januar an dem Thema dran und haben all diese Facetten schon in der aktuellen Berichterstattung behandelt. Nun waren wir an einem Punkt, wo wir schauen wollten: Was hat das für Folgen gehabt und wo stehen wir ein Jahr später?

WDR: Frau Junghans, Sie waren bei Sitzungen des NRW-Untersuchungsausschusses dabei und haben auch selbst mit Opfern und Polizei gesprochen. Wie konnte es nach Ihrer Einschätzung zu dem Desaster kommen?

Daniela Junghans

Daniela Junghans

Junghans: Die Kommunikation unter den Einsatzkräften hat nicht funktioniert und die Lage wurde unterschätzt. Es wäre Verstärkung verfügbar gewesen. Polizisten, die in anderen Stadtteilen im Einsatz waren, wurden in den Feierabend geschickt, weil es dort nichts mehr zu tun gab. In diesem Jahr wird die Silvesternacht mit einem ganz anderen Polizeieinsatz geplant. Es gibt eine Koordinierungsstelle von Stadt, Landes- und Bundespolizei sowie ein gemeinsames Sicherheitskonzept. Silvester ist ja keine offizielle Veranstaltung, also gab es bisher keinen Veranstalter, der für ein solches Konzept zuständig gewesen wäre. Die Stadt tritt nun aber als virtueller Veranstalter auf.

WDR: Weiß man heute, ob sich die Täter vorher abgesprochen hatten?

Hilgers: Laut rechtspsychologischem Gutachter des Untersuchungsausschusses, Rudolf Egg, hatten sich einige Randalierer auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt und gemerkt: Die Polizei ist hier nicht existent, wir können machen, was wir wollen. Das hat sich dann verbreitet und weitere Täter angelockt.

WDR: Sie sind für das Feature nach Dresden gereist. Warum?

Hilgers: Köln ist ja längst wieder zur Ruhe gekommen. Karneval hat man gemerkt: Silvester war ein einmaliges Ereignis, wir können auch friedlich feiern. Auch die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen hat nur eine leichte Delle erlitten, es gibt aber vielerorts noch immer mehr Helfer, als gebraucht werden. In Dresden jedoch wurde der Ton seitdem immer aggressiver. Pegida-Anhänger fühlen sich in ihren Ressentiments gegenüber Ausländern bestätigt. Viele sind überzeugt, dass in Köln der Ausnahmezustand herrscht und sich hier keine Frau mehr alleine auf die Straße trauen kann. Der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, sagte uns, es sei in seinem Bundesland nicht mehr möglich, sachlich über die Flüchtlingsfrage zu diskutieren. Die Zahl der Flüchtlingshelfer ist stark zurückgegangen. Wer sich noch engagiert, tut es im Verborgenen, aus Angst vor Anfeindungen. Wir haben uns zudem angeschaut, wie das Innenministerium reagiert und was sich bei der Kölner Polizei getan hat. Der neue Polizeipräsident Jürgen Mathies und der Vorsitzende der NRW-Polizeigewerkschaft Arnold Plickert haben im Grunde gesagt: Wir können im Moment fordern, was wir wollen – wir kriegen alles.

Das Interview führte Christine Schilha