Stichtag

19. August 2009 - Vor 30 Jahren: Erster Fernsehauftritt der Familie Fussbroich

1979 sucht Regisseurin Ute Diehl in Kölner Gesamtschulen nach einer typisch deutschen Arbeiterfamilie. In einem Film will sie deren Konsumverhalten dokumentieren - "all das Kaufen und Wegwerfen, dass einen davon abhält, nachzudenken und den Alltag auch einmal zu hinterfragen." Annemarie ("Annemie") und Friedrich (Fred) Fussbroich mit ihrem zehnjährigen Sohn Frank scheinen hierzu die idealen Anschauungsobjekte."Die Fussbroichs haben die Bedingungen erfüllt, die ich gestellt habe: Wohnungsgröße, Anzahl der Kinder, Einkommen, Alltagsverhalten", wird sich Diehl später erinnern. "Für sie war das Wichtigste, dass man gut aussieht und sich etwas leisten kann: Urlaub, neue Möbel, neue Kleider, ein Auto. Dazu kam, dass sie bereit waren, ins Fernsehen zu gehen und sich zu zeigen."

Das Ergebnis ist am 19. August 1979 im 45-minütigen WDR-Dokumentarfilm "Ein Kinderzimmer 1979" zu bewundern, der den zehn Quadratmeter großen Lebensraum des Einzelkinds Frank mit seinen Schlümpfen und Postern, seiner Carrerabahn und dem stetig laufenden Fernseher zum Zentrum hat. Um dessen Bedürfnisse dreht sich der Alltag des Vorarbeiters und der Sekretärin in ihrer Genossenschaftswohnung in Köln-Buchheim. Während sich Annemie in der Küche um das leibliche Wohl ihres Sohnes kümmert, begleitet Frank im Kinderzimmer singend die Werbespots. Fred sitzt derweil im Wohnzimmer vor dem eigenen TV-Gerät, dass den Familienfrieden rettet: "Dann kann er den schielenden Löwen gucken und ich die Sportschau".Fast wäre "Ein Kinderzimmer 1979" ein Dokumentarfilm unter vielen geblieben. Aber Diehl plant eine Fernsehserie mit den Fussbroichs. Doch für das Unspektakuläre und Normale ist im deutschen Fernsehen zunächst kein Platz. Immer wieder spricht Diehl bei den zuständigen Redakteuren vor, ein Jahrzehnt lang hält sie mit den Fussbroichs Kontakt. Dann bekommt sie eine neue Chance. 1989 startet mit "Die Fussbroichs" im WDR die erste deutsche Doku-Soap. In 100 Folgen zeigt die Kölner Arbeiterfamilie zunächst in Interviewsituationen, später vor frei laufender Kamera zwischen Nachtschicht, Urlaubsträumen und Fitnessstudio ungeschminkt und in Kölschem Dialekt ihre Sicht der Welt. In den schönsten Momenten der Serie entstehen so tragikomische Einblicke in den Familienalltag - etwa dann, wenn Annemie über den Zusammenhang von Autokäufen und anschließenden familiären Todesfällen philosophiert: "Auf Freud folgt Leid".

Bis 2001 können die Zuschauer die Fussbroichs erleben. Die Serie wird Kult, auch wenn ein Gutteil der Fans  Diehls konsumkritische Botschaft wohl nicht sehen will. 1992 erhält die Regisseurin für ihre Arbeit den begehrten Adolf-Grimme-Preis. Dann zieht sich die Familie aus dem TV-Geschäft zurück. Bis dahin hat Sohn Frank mit Friseurin Pia, Parfümfachverkäuferin Heike, Friseurin Kerstin und Fußpflegerin Susanne vier Beziehungen beendet.Auch danach kommt der Bodybuilder, der am liebsten Fotomodell geworden wäre und in Folge 96 mit seiner aktuellen Freundin Heike den Gemüseladen "Sunrise" eröffnet, aus den Schlagzeilen nicht heraus. Wegen Scheckbetrugs, Anabolikahandels und Verkaufs gefälschter Markenklamotten muss er sich mehrmals vor Gericht verantworten. Heute ist er verheiratet und lebt in Düren. Fred ist pensioniert und genießt, so hört man, mit Annemie das Leben.

Stand: 19.08.09