Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid bei Handschlag mit US-Präsident Kennedy, in der Mitte Bundeskanzler Adenauer bei Staatsbesuch in Bonn, Juni 1963

Stichtag

11. Dezember 1979 - Tod des Sozialdemokraten Carlo Schmid

Bestens gelaunt sitzt Carlo Schmid am 3. Dezember 1979 auf dem Podium des SPD-Parteitages in Berlin. Sein beeindruckender Charakterkopf mit schlohweißer Mähne und lebensweiser Ausstrahlung hebt sich deutlich ab in der Präsidiumsriege. Seit 1947 gehört Schmid dem Vorstand seiner Partei an. An diesem Tag wird er 83 Jahre alt und die Delegierten feiern ihn mit großem Respekt und spürbarer Sympathie.  

Nur acht Tage darauf, am 11. Dezember, stirbt der Politiker und Jurist, Literat und Bonvivant in Bad Honnef bei Bonn. Die Bundesrepublik flaggt halbmast und trauert unisono um einen "ganz besonderen Deutschen", wie Willy Brandt in seinem Nachruf schreibt. Der Literaturwissenschaftler Walter Jens würdigt Carlo Schmid später als "Hausvater der Republik".

"Nur ein Machtkenner"

Wie nur wenige hat Carlo Schmid die Anfänge der Bundesrepublik mitgestaltet. Im Parlamentarischen Rat arbeitet der Sozialdemokrat 1948 als Gegenpol zu Konrad Adenauer entscheidend am Grundgesetz mit. So setzt Schmid das Verbot der Todesstrafe und das konstruktive Misstrauensvotum bei einem Regierungssturz durch. Von Beginn an bis 1972 sitzt er im Bundestag, 20 Jahre lang - nur unterbrochen durch eine dreijährige Amtszeit als Bundesratsminister – ist er Vizepräsident des Parlaments.

Das höchste Amt aber bleibt dem Staatsrechtler und Schriftsteller verwehrt, der unter anderem Machiavelli, Baudelaire und Malraux übersetzt. 1959 scheitert Carlo Schmid bei der Wahl zum Bundespräsidenten an Adenauers Favorit Heinrich Lübke. Auf eine Kandidatur als Bundeskanzler verzichtet er Anfang der 60er Jahre. "Manchmal hat es mir an der nötigen Härte gefehlt", bekennt Schmid. "Ich bin kein typischer Mann der Macht. Ich bin nur ein Machtkenner."

Grandseigneur  der SPD

Carlo Schmid kommt 1896 im südfranzösischen Perpignan zur Welt. Sein deutscher Vater ist Privatgelehrter, seine Mutter, eine französische Adlige, nennt den kleinen Karl Johann liebevoll Charleau. Frankophil wird Schmid sein Leben lang bleiben, obwohl die Familie schon 1908 nach Stuttgart übersiedelt. In den Ersten Weltkrieg zieht er freiwillig auf deutscher Seite. Dann studiert er in Tübingen mit brillanten Noten Völkerrecht und beginnt eine Wissenschafts-Karriere. Den Nazis gilt der Freigeist als unzuverlässig, er ist von allen akademischen Berufungen ausgeschlossen. 1945, nur wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wird Schmid Rechtsprofessor in Tübingen und Präsident des Staatssekretariats für die französisch besetzte Zone.

Die Duelle mit Adenauer im Parlamentarischen Rat schildert der gelehrte Sozialdemokrat in seinen Memoiren. Nicht nur das Alter unterscheide sie, belehrt ihn der "Alte aus Rhöndorf": "Sie glauben an den Menschen. Ich glaube nicht an den Menschen, habe nie an den Menschen geglaubt." Als Adenauers sprachgewaltigster Kontrahent im Bundestag stellt Schmid hinter den Kulissen die Weichen für den Kurs seiner Partei. Nicht zuletzt durch seinen Einfluss wandelt sich die SPD 1958 auf dem Godesberger Parteitag von der Arbeiter- zur Volkspartei. In den 60er Jahren kämpft Carlo Schmid an der Seite Willy Brandts für die neue Ostpolitik. Große Verdienste erwirbt sich der über alle Parteigrenzen geschätzte Intellektuelle auch im Verhältnis zu Frankreich. Als der Grandseigneur der Sozialdemokratie 1979 stirbt, ehrt ihn der französische Staatspräsident Giscard D’Estaing als "Apostel der deutsch-französischen Versöhnung".

Stand: 11.12.2014

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