Discjockey Klaus Quirini mit Udo Jürgens im Scotch Club (1965)

Stichtag

19. Oktober 1959 - Erster Auftritt eines deutschen Discjockeys

Überall schießen Ende der Fünfziger Jahre Tanzlokale aus dem Boden. Die deutsche Nachkriegsjugend will sich amüsieren und das am liebsten zu Schlager-Hits und Rock’n’Roll, gespielt von mal mehr, mal weniger bekannten Bands. Livemusik bringt den Wirten Umsatz.

Den hat auch der kurz vor der Pleite stehende Scotch-Club in der Aachener Innenstadt bitter nötig. Inhaber Franzkarl Schwendinger will aus seinem rustikalen Speiselokal deshalb einen Tanz-Treff machen, doch Gagen für Live-Kapellen sind im Budget nicht drin. So kommt der Österreicher auf die damals verwegene Idee, Musik wie im Radio von Platten abzuspielen und dafür einen Discjockey zu engagieren. Am 19. Oktober 1959 eröffnet Schwendinger den Scotch-Club als "Jockey Tanz-Bar" und damit die erste Diskothek in Deutschland.

Vorbild "Mr. Pumpernickel"

Am Premierenabend herrscht mächtige Langeweile im schmiedeeisernen Ambiente des Scotch-Club. Als Discjockey hat Schwendinger einen temperamentfreien Opernsänger engagiert, der die Platten kommentarlos abnudelt. Einer, der am lautesten über die "tote Musik" lästert, ist Klaus Quirini, Volontär einer Aachener Lokalzeitung. Clubchef Schwendinger fordert den 19-Jährigen auf, es besser zu machen, was sich Quirini nicht zweimal sagen lässt. Mit dem leicht angesäuselten Jungjournalisten am Plattenteller kommt die verschnarchte Tanzbar sofort in Schwung: "Meine Damen und Herren, wir krempeln die Hosenbeine hoch und lassen Wasser in den Saal, denn 'Ein Schiff wird kommen' – mit Lale Andersen!"

Danach, erinnert sich Deutschlands erster DJ 1995 im WDR, "haben die Gäste nach jeder Ansage geklatscht." Quirinis Sprüche sanieren den Scotch-Club, die Jugendlichen stehen Schlange vor der Tanzbar. Ideen für seine Conferencen holt sich Quirini bei den DJ-Stars im Hörfunk: Camillo Felgen von Radio Luxemburg und Chris Howland, dem "Mr. Pumpernickel" vom WDR. Auch Klaus Quirini muss sich auf Vaters Wunsch ein Pseudonym zulegen. In seinem Plattenarchiv findet er "Oh Heinrich, ich hab ja nur dich" von Trude Herr. Und damit den Künstlernamen, mit dem er selbst zum Disco-Star wird: "Diskothek-Time, Top-Pops á gogo. Am Plattenteller und am Mikrofon Deutschlands Plattenreiter Nr. 1, Heinrich aus dem Scotch Club in Aachen."

Star-Treff in Aachen

Heinrich moderiert nicht nur die Titel an. Er tanzt mit, führt neue Tänze wie den Sirtaki vor und veranstaltet Rock’n’-Roll-Wettbewerbe. "Da wurde getanzt bis zum Umfallen, das war einmalig, das kann man nicht vergessen", schwärmt eine Aachenerin noch 50 Jahre später. Clubchef Schwendinger ist es 800 Mark Monatsgage wert, seinen Publikumsmagneten zu halten. Quirinis Erfolg findet überall Nachahmer und spricht sich auch bei Plattenfirmen herum. Udo Jürgens, Jean-Claude Pascal, Howard Carpendale …: DJ Heinrich kann all die Stars nicht mehr zählen, die bei ihm in Aachen aufgetreten sind.

Als Pionier in seinem Metier entwickelt Klaus Quirini das gesamte Repertoire eines Live-Discjockeys. Er bildet sich zum Musikkaufmann weiter und gründet 1963 mit Camillo Felgen die "Deutsche Discjockey Organisation". Als Interessenvertreter seiner jungen Branche setzt Quirini die Anerkennung des Berufs Discjockey durch. Der legendäre Scotch-Club muss Anfang der 90er Jahre aufgeben; den Nachbarn ist die Musik zu laut. Nichts erinnert heute noch an Deutschlands erste Diskothek. Klaus Quirini aber, den inzwischen 75-Jährigen, grüßen seine Altersgenossen immer noch mit: "Hallo Heinrich!"

Stand: 19.10.2014

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