Stichtag

12. September 1919 - Erstes Goldpreis-Fixing nach dem Weltkrieg

Am Ende der Lombard Street, im noblen Finanzviertel der City of London, zweigt rechts eine schmale Gasse ab. In der unscheinbaren St. Swithin’s Lane residiert seit über 200 Jahren die einflussreiche Rothschild Bank. Dort treffen sich an jedem Werktag die Mitglieder eines exklusiven Banken-Kartells: der "London Gold Fixing Company".

Zweimal täglich, um 10.30 Uhr und um 15 Uhr, konferieren sie telefonisch rund um den Globus mit Edelmetall-Börsen, Geldhäusern und Gold-Anlegern. Daraus errechnet der Club aus Deutscher Bank, Barclays, HSBC, Société Général und der Bank of Novia Scotia in geheimer Sitzung den Weltmarktpreis für Gold.

Bei den USA hoch verschuldet

"Ein offener Markt…, in dem nicht nur jeder Verkäufer weiß, dass er den höchsten Preis bekommt, den die Welt zahlen kann, sondern auch jeder Käufer weiß, dass er sein Gold so billig bekommt, wie es die Welt nur anbieten kann." So fasst die Bank of England kurz nach dem ersten Weltkrieg ihren dringenden Wunsch an die führenden Goldhändler Londons zusammen. Die Hauptstadt des British Empire ist seit Jahrhunderten die Schaltzentrale des globalen Edelmetall-Handels. Doch 1919 steht Großbritanniens Staatskasse vor einem enormen Problem.

Der Weltkrieg hat exorbitante Schulden hinterlassen und Hauptgläubiger sind die Vereinigten Staaten. "Die USA aber", weiß der Freiburger Historiker Bernd Grewe, "haben darauf bestanden, dass ihre Kriegsschulden in Gold oder Dollar bezahlt werden." Deshalb kommen am 12. September 1919 die mächtigsten Goldhändler bei Rotschild in London zusammen, um erstmals einen gültigen Kurswert für eine Feinunze (31,1 Gramm) auszuhandeln. Den telegraphieren sie an Banken und Goldminen-Betreiber auf der ganzen Erde.

Manipulationen beim Fixing

Als Großbritannien seine Währung 1925 mit dem Goldpreis koppelt, geht es an der St. Swithin’s Lane merklich ruhiger zu. Über Jahrzehnte bestimmen der britische und der US-amerikanische Goldstandard den Weltmarktpreis. Erst 1973, als die USA ihren Dollar endgültig freigeben, gewinnt das Londoner Golden Trade Quintett wieder rasant an Bedeutung. Der durch die Finanzkrise 2004 ausgelöste Run auf das als sicher eingeschätzte Gold treibt das Londoner Fixing auf Rekordwerte. 1.900 US-Dollar zahlen Käufer auf dem Scheitelpunkt des Gold-Hypes für die Feinunze.

Seither aber sinkt der Preis und Peter Kochanski vom ARD-Börsenstudio ist überzeugt: "Da haben viele Anleger verloren – sehr viel verloren." Auch die exklusive "London Gold Fixing Company" ist ins Zwielicht geraten. Mehrfach in den vergangenen Jahren flogen Trader auf, die das nichtöffentliche Fixing für Kursmanipulationen genutzt hatten. Erst jüngst verhängte die britische Finanzaufsicht eine Strafe von 32 Millionen Euro gegen die Barclays Bank. Das seit 1919 gültige intransparente Ritual des Gold-Fixings steht deshalb vor dem Aus. Bis Ende des Jahres sollen nicht mehr Telefonkonferenzen, sondern Computer-Algorithmen über den Preis des Goldes entscheiden.

Stand: 12.09.2014

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.