Stichtag

09. Juni 2005 - Der Wiener Kongress legt seine Schlussakte vor

Der österreichische Feldmarschall von Ligne bringt die Lage Anfang 1815 diplomatisch auf den Punkt: " Le congrès ne marche, il danse" (der Kongress macht keine Fortschritte, er tanzt). Bereits seit Oktober 1814 tagen und tanzen Europas Herrscher auf Einladung von Kaiser Franz I. in Wien, um die Überbleibsel der 20-jährigen Ära Napoleons auszumerzen. Aber das Ringen der fünf Großmächte Russland, Großbritannien, Österreich, Preußen und Frankreich um ein Gleichgewicht der Kräfte kommt nur schleppend voran. Die Wiener Bevölkerung, mit Karussells, pompösen Feuerwerken und Jagdveranstaltungen im Prater verwöhnt, lästert über den endlosen ersten Euro-Gipfel der Geschichte: "Der Zar von Russland liebt für alle, der preußische König denkt für alle, Maximilian von Bayern trinkt für alle, Kaiser Franz bezahlt für alle."

Spitzel-System


Und Staatskanzler Klemens Wenzel Fürst von Metternich überwacht sie alle. Als Gastgeber und Kongress-Doyen zieht der österreichische Außenminister die Fäden – auch hinter den Kulissen. Rastlos wie eine Spinne hat Metternich die Donau-Monarchie bereits Monate zuvor mit einem lückenlosen Spionage- und Spitzel-System überzogen. Keine Poststation, kein Konferenzraum, kein Boudoir, in dem Metternichs Agenten nicht mithören und mitschreiben. Dank der Habsburgischen Staatssicherheit, der Geheimen Ziffernkanzlei, ist der reaktionäre Staatskanzler bestens über jedes Räuspern und süße Geheimnis der Kongress-Protagonisten informiert.

Neue europäische Ordnung

Von Napoleons Comeback-Unternehmen am 1. März 1815 wird Metternich aller Agenten zum Trotz ebenso überrumpelt wie der Rest Europas. Doch der nur hundert Tage währende Überraschungscoup des Korsen bringt endlich Bewegung in die festgefahrenen Wiener Verhandlungen. Während die Armeen der vereinten Mächte Napoleon Bonaparte endgültig in die Enge treiben, einigen sich die Staatsmänner und Monarchen auf die Wiederherstellung der politischen Zustände von 1789, die Rechtfertigung erblicher Ansprüche der alten Dynastien und eine gemeinsame Interessenpolitik zur Abwehr revolutionärer Strömungen. Die neue europäische Ordnung unter den fünf Großmächten, die in den wesentlichen Punkten bis zum Ersten Weltkrieg hält, wird mit der Schlussakte am 9. Juni 1815 feierlich besiegelt. Nur neun Tage später erlebt Napoleon bei Waterloo seine endgültige Niederlage und wird auf das Atlantik-Eiland St. Helena verbannt.

Stand: 09.06.05