Graf von Mirabeau sprichtam 23. Juni 1789 vor den französischen Generalständen

Stichtag

17. Juni 1789 - Der Dritte Stand erklärt sich zur Nationalversammlung

Die Unzufriedenheit in Frankreich ist groß: "Die schlechte Lage unserer absoluten Monarchie", notiert der Marquis d'Argenson 1752 in seinem Tagebuch, erwecke "die Überzeugung, dass dies die schlechteste aller Regierungsformen ist." Das kostspielige Eingreifen in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verschlimmert die Lage noch. Das Ancien Régime ("alte Regierungsform") treibt in Richtung Ruin. 1789 muss König Ludwig XVI. zum ersten Mal seit 1614 die Generalstände einberufen. Ohne sie kann er die beabsichtigten Steuererhöhungen nicht durchsetzen.

Insgesamt gibt es drei Stände: Neben dem Ersten und Zweiten Stand, Klerus und Adel, bilden Bauern und Bürger zusammen den Dritten Stand - der 96 Prozent der französischen Bevölkerung umfasst. Die Abgeordneten des Dritten Standes reisen zwar mit "Beschwerdeheften" an. Die Mehrheit von ihnen habe zwar Reformen verlangt, sagt Historiker Patrice Gueniffey. "Aber niemand stellte die führende Rolle des Königtums in Frage." Um die Kritiker zu besänftigen, schlägt Finanzminister Jacques Necker dem König vor, für die Wahlen zu den Generalständen eine Verdoppelung der Vertreter des Dritten Standes aus 600 zuzulassen. Damit zählt der Dritte Stand genauso viele Personen wie Adel und Klerus zusammen.

Folgenreiche Entscheidung

Allerdings zieht Necker die Reform nicht bis zum Ende durch. "Anstatt eine Abstimmung pro Kopf einzuführen, hält er am alten System der Abstimmung nach Ständen fest", sagt Historiker Gueniffey. Damit können sich Adel und Klerus weiterhin mit ihren beiden Stimmen zusammen gegen die eine Stimme des Dritten Standes durchsetzen. Dessen Abgeordnete sind verärgert. Am 17. Juni 1789 treffen sie eine folgenreiche Entscheidung: Mit 490 zu 90 Stimmen erklären sie sich zur Nationalversammlung. Zugleich erlassen sie ein Dekret, das den Umgang mit den immensen Staatsschulden regeln soll.

Das Vorgehen ist illegal und grenzt an einen Staatsstreich. Die Bürger- und Bauernvertreter zählen dabei auf Unterstützung der anderen Stände, sagt Gueniffey: "Der Dritte Stand weiß, dass er auf eine sehr kleine Minderheit des Adels, die liberalen Ideen anhängt, und auf einen großen Teil des niederen Klerus zählen kann." Die Pfarrgemeinden liegen im Streit mit den Bischöfen. Die Rechnung geht auf: Zwei Tage später, am 19. Juni, schließt sich der Klerus mit knapper Mehrheit der selbst erklärten Nationalversammlung an. König Ludwig XVI. kontert mit der Schließung des Sitzungssaals. Darum ziehen die Abgeordneten ins Ballhaus und schwören, "sich niemals zu trennen, solange bis die Verfassung des Reiches und die Sanierung der allgemeinen Lage erreicht" worden sind.

Unberechenbare Eigendynamik

Ludwig XVI. zögert trotzdem mit dem Gegenschlag. Verschärft worden sei die Krise durch steigende Getreidepreise nach zwei Missernten, so Historiker Gueniffey. Viele Menschen seien nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu ernähren. Zudem tagen immer mehr liberale Abgeordnete von Adel und Klerus zusammen mit dem Dritten Stand. Schließlich erklärt sich die Nationalversammlung am 9. Juli 1789 zur Verfassungsgebenden Versammlung.

Doch es zeichnen sich bereits zwei Lager ab. "Der Dritte Stand wird sich sehr schnell spalten: in Revolutionäre", so Gueniffey, "und in Reformisten, die ein viel gemäßigteres Programm vertreten, die eine Übereinkunft mit der Monarchie anstreben." Noch vollzieht sich der Wandel unblutig. Doch dann lässt Ludwig XVI. 25.000 Söldner um Versailles zusammenziehen. Die Französische Revolution bekommt eine unberechenbare Eigendynamik. Ihr erster Akt hat am 17. Juni begonnen - knapp vier Wochen vor dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789.

Stand: 17.06.2014

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