Dr. Salk injiziert einem Achtjaehrigen den Impfstoff gegen Kinderlähmung

Stichtag

26. April 1954 - Massenimpfungen gegen Polio in den USA beginnt

Fieber, Kopfschmerzen, Durchfall - die Symptome bei Poliomyelitis, besser bekannt als Kinderlähmung, sind nicht einheitlich. Oft hat die Viruskrankheit keine gravierenden Folgen. Doch bei einem kleinen Teil der Infizierten kommt es zu Lähmungen an Armen und Beinen. "Die Ursache ist letztlich, dass das Virus bestimmte Nerven schädigt, die die Muskulatur steuern", sagt der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Professor Reinhard Burger. Bei manchen Patienten bleibe die Lähmung lebenslang bestehen. "Es gibt dafür auch keine Behandlung."

Anders als Pest oder Pocken tritt Polio jahrhundertelang nur begrenzt auf. Erst mit der Industrialisierung kommt es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Epidemien. Die Ursache dafür sind enge Wohnverhältnisse, mangelnde Hygiene und schlechter Ernährung, vor allem in den aufstrebenden Städten. "Dabei werden natürlich Erkrankungen begünstigt, die leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden können wie eben Polio", so Burger. Der Begriff Kinderlähmung sei allerdings irreführend. "Nicht geimpfte Erwachsene sind genauso gefährdet und auch in späteren Lebensjahren kann es zu dieser Erkrankung kommen."

1,8 Millionen Kinder werden geimpft

Der Politiker Franklin D. Roosevelt infiziert sich im Sommer 1921 im Alter von 39 Jahren. Als er zwölf Jahre später zum US-Präsidenten gewählt wird, organisiert er eine nationale Kampagne gegen Polio. 20 Millionen Dollar werden gespendet - Geld, das auch die Forschung des Virologen Jonas Salk finanziert. Er entwickelt einen inaktiven Impfstoff, indem er gezüchtete Viren abtötet. Den Impfstoff testet er 1952 zuerst an sich und seiner Familie - mit Erfolg: Im Blut der Geimpften lassen sich Antikörper nachweisen. Die bis dahin größte Impfaktion der Geschichte beginnt im April 1954: Rund 1,8 Millionen Kinder werden in den USA geimpft. Das Ergebnis ist positiv, der Feldversuch belegt die Wirksamkeit.

Trotzdem gibt es Kritik, da Salks Impfstoff in drei Spritzen verabreicht wird. Zu aufwendig, zu teuer und zu unsicher, findet der US-Mediziner Albert Sabin. Er hat einen Lebendimpfstoff entwickelt, den man in Tropfenform auf einem Stück Zucker einnehmen kann. Um die Wirksamkeit zu belegen, geht Sabin in die UdSSR, wo seine Eltern herkommen und die Behörden 1958 eine Massenimpfung organisieren. Die Impfung gegen Polio wird zur Prestigefrage im Kalten Krieg. Die Sowjetunion liegt vorn, denn in den USA hat ein kalifornisches Pharmaunternehmen einen Produktionsfehler gemacht: Nicht alle Viren wurden abgetötet, sodass 1955 nach einer Impfung über 1.000 Kinder erkrankten. Hunderte blieben für immer gelähmt, einige starben.

"Schluckimpfung ist süß"

Auch in der Bundesrepublik verzichten viele Eltern nach diesem Zwischenfall auf eine Impfung. Erst als die US-Behörden 1961 den Impfstoff von Sabin übernehmen, kommt die Wende. Die Impfkampagne "Schluckimpfung ist süß - Kinderlähmung ist grausam" wirkt: Binnen kurzer Zeit werden 22 Millionen Deutsche geimpft. 1961 gibt es in der Bundesrepublik noch 4.500 Neuerkrankungen, vier Jahre später sind es nur noch 90 Fälle. Bis 1998 wird die Schluckimpfung empfohlen. Da sich allerdings herausgestellt hat, dass sich die dabei verwendeten Lebenviren verändern und zu Lähmungen führen können, werden seither nur noch inaktive Polio-Impfstoffe gespritzt.

Heute gilt Deutschland wie auch ganz Europa als poliofrei. Aber das Virus ist nicht besiegt. Es tritt immer dann auf, wenn die Gesundheitsversorgung zusammenbricht oder hygienische Standards nicht eingehalten werden - vor allem in Kriegsgebieten. Dort wird das Virus gefährlich, wenn der Impfschutz Lücken aufweist: "Denn wenn die Menschen und die Ärzteschaft die Krankheit nicht mehr sehen, dann verliert sie ihren Schrecken. Das ist halt ein Trugschluss", sagt RKI-Präsident Burger.

Stand: 26.04.2014

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