Elisabeth Wiedemann, Hildegard Krekel, Heinz Schubert und Diether Krebs

Stichtag

31. Dezember 1973 - ARD-Premiere von "Ein Herz und eine Seele"

Jahresende 1973 in einer Arbeiterwohnung irgendwo in Bochum: Haustyrann Alfred, ("Tetzlaff, Sie Arschloch, ich heiße Tetzlaff!"), braut am Herd seinen hochprozentigen Silvesterpunsch zusammen. SEINEN Punsch, motzt er rum, "nicht etwa für irgendwelche Kacker, die ihr eingeladen habt!" Ihr, das ist Alfreds Familie: seine nicht sehr helle Ehefrau Else, die "dusselige Kuh", Tochter Rita, "mit Hängen und Würgen durch die Mittlere Reife gerutscht", und Schwiegersohn Michael, laut Alfred "ein Anarchist der übelsten Sorte".

Die Tetzlaffs sind nicht gerade "Ein Herz und eine Seele", so der Titel der von Wolfgang Menge für den WDR geschriebenen Familienserie. Im Januar 1973 gestartet, "erreichte sie im Dritten Programm ungefähr das Zwanzigfache der üblichen Sehbeteiligung", erinnert sich der Produzent Peter Märthesheimer. Grund genug, Alfreds Familienbande auf die ganze Republik loszulassen. Mit der zwölften Folge "Silvesterpunsch" beginnt am 31. Dezember 1973 die bundesweite Ausstrahlung von Deutschlands erster Situationskomödie, neudeutsch Sitcom.

Auf die Spitze getriebene Klischees

Ekel Alfred, von Heinz Schubert mit Hingabe gespielt, ist borniert, reaktionär, juden- und fremdenfeindlich, antisozialistisch, intolerant und selbstgerecht, manierenlos und ungebildet, also schlicht unerträglich. "Wir sind hier in einem zivilisierten Haus und nicht im Puff von Orandaburundi", haut er seiner Else um die Ohren. Und den von Diether Krebs gespielten, vom Geist der 68er-Bewegung angehauchten Schwiegersohn, beleidigt der giftige Gernegroß mit der gleichen Inbrunst wie die Sozis des "Immigranten-Kanzlers" Willy Brandt. Nur Tochter Rita kommt bei ihm in aller Regel glimpflich weg.

Auch im Ersten erreicht die Stunk-Serie auf Anhieb eine Sehbeteiligung von 60 Prozent. Das Erfolgsrezept von "Ein Herz und eine Seele": Normal ist nur das auf die Spitze getriebene Klischee. "Vieles ist typisch in dieser Familie, aber es ist immer so übertrieben, dass es das in der Kombination mit Sicherheit nirgendwo geben wird", sagt Autor Wolfgang Menge. "Aber fast alle Zuschauer haben den Eindruck, dass zwar ihre eigene Familie nicht so ist, aber dass sie genügend Familien kennen würden, wo es so ist."

Alfred wird zum Streitobjekt

"Ein Herz und eine Seele" hat allerdings nicht nur begeisterte Fans, sondern auch erbitterte Gegner. Psychologen, Soziologen, Politologen und Gewerkschafter streiten öffentlich über eventuell sozialschädliche Wirkungen der Tetzlaffschen Hasstiraden. Begreift der Zuschauer wirklich die Ironie? Könnte er sich dessen krudes Proleten-Weltbild vielleicht zu eigen machen? Ist Alfred Tetzlaff am Ende gar ein Nazi? Absoluter Quatsch, findet Wolfgang Menge: "Ein Nazi wäscht sich seine Füße nicht in der Salatschüssel. Mit dieser Figur wird sich kein Nazi identifizieren. Den als Helden nehmen? Unmöglich."

Um die Bedenkenträger ruhig zu stellen, lässt der WDR sogar eine Studie über die Auswirkungen auf das Publikum erstellen. Die gibt Menge Recht. "Eine Identifikation mit Alfred hat nie stattgefunden", fasst Produzent Märthesheimer zusammen. Als aber an Wolfgang Menge der Wunsch herangetragen wird, seine Texte politisch zu entschärfen, schmeißt der knorrige Erfolgsautor nach 25 Folgen die Brocken hin. Im November 1976 krakeelt Alfred als Arschloch der Nation zum letzten Mal über den Bildschirm – vorerst. Denn als TV-Klassiker erreicht "Ein Herz und ein Seele" seither auch in der x-ten Wiederholung noch hohe Einschaltquoten. Und wie "Dinner for one" ist Ekel Alfreds "Silvesterpunsch" am 31. Dezember mittlerweile Kult.

Stand: 31.12.2013

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