Die "Pille danach"

Stichtag

28. Oktober 1988 – RU 486 in Frankreich eingeführt

Anfang der 80er Jahre forscht ein Team vom Chemiekonzern Roussel-Uclaf an einem synthetischen Molekül, das hormonbedingte Erkrankungen heilen helfen soll. Aber das Molekül, das die Gruppe unter dem namens RU 486 entwickelt, taugt nicht zum Schutz der Nebennieren. Tatsächlich aber hat es viel sensationellere Eigenschaften.

Schnell entdeckt der renommierte französische Biochemiker Étienne-Émile Baulieu, dass RU 486 das Hormon Progesteron hemmen kann, das für die Schwangerschaft wichtig ist. Als Folge wird die Entwicklung des Embryos gestoppt und die Ablösung der Gebärmutterschleimhaut ausgelöst. Die Konsequenzen sind mit einer Fehlgeburt vergleichbar. Die Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs - bisher nur operativ durchführbar - muss neu geschrieben werden.

"Ein Recht der Frauen dieses Landes"

Ende September 1988 verkündet Frankreichs Gesundheitsminister Claude Evin, dass RU 486 als Abtreibungspille freigegeben sei. International aber mehrt sich, geschürt von Pro-Life-Aktivisten aus den USA und den Kirchen, der Widerstand gegen das Produkt. Boykottaufrufe gegen alle Produkte von Roussel-Uclaf sind die Folge. Bereits einen Monat nach der Freigabe zieht der Konzern, an dem die deutsche Firma Hoechst und der französische Staat Anteile halten, die Pille zurück.

Nicht nur die Frauenbewegung, auch weite Teile der französischen Bevölkerung sind empört über die Entscheidung. Am 28. Oktober 1988 verordnet Evin, die Abtreibungspille sofort wieder einzuführen. "Dem Gesetz muss Folge geleistet werden", betont der Gesundheitsminister vehement. "In seinem Rahmen ist der gewollte Schwangerschaftsabbruch ein Recht der Frauen dieses Landes." Es dauert nur drei weitere Stunden, bis Roussel-Uclaf einer Markteinführung zustimmt. Damit haben Französinnen bei Schwangerschaftsabbrüchen bis zur neunten Woche erstmals die Wahl zwischen einem operativen Eingriff oder einem Medikament.

RU 486 = Zyklon B?

In Deutschland ist die Stimmungslage anders. RU 486 wird als "Todespille" apostrophiert, der Kölner Kardinal Joachim Meisner gar wagt den Vergleich mit Zyklon B, das im KZ Auschwitz-Birkenau beim Massenmord zum Einsatz kam. Aufgrund des Drucks weigert sich die Hoechst AG als Teilhaber von Roussel-Uclaf, RU 486 auch in Deutschland einzuführen. Schließlich verschenkt der Konzern das Patent an der Abtreibungspille für einen symbolischen Preis. Seit 1999 ist RU 486 unter dem Namen "Mifegyne" in ganz Europa erhältlich.

Inzwischen werden in Schweden rund 80 Prozent und in der Schweiz rund 64 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche durch Medikamente ausgelöst. Deutschland steht mit 15 Prozent in Europa auf dem letzten Platz.

Stand: 28.10.2013

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