Erster Weltkrieg: Meuterei der Matrosen beginnt in Wilhelmshaven

Stichtag

29. Oktober 1918 – Beginn des Matrosenaufstands in Wilhelmshaven

Im Herbst 1918 sitzt die kleine Jule Biedenbeck mit ihrer Mutter und den Geschwistern bei einer dünnen Nudelsuppe in Kiel am Mittagstisch. Der Vater kommt eigentlich erst am Abend von der Arbeit nach Hause. Aber diesmal geht plötzlich die Tür auf und der Werftarbeiter stürmt herein.

Erstaunt habe die Mutter gefragt, was den los sei, wird sich Biedenbeck später erinnern. "Wir haben die Arbeit niedergelegt", habe der Vater entgegnet. "Die Matrosen haben sich geweigert auszufahren und wir haben uns solidarisch erklärt. Ich ziehe mich um, dann geht es auf den Wilhelmsplatz. Dann demonstrieren wir."

Die Heizer wollen sich nicht verheizen lassen

Die Weigerung der Matrosen hat einen guten Grund. Im Oktober 1918 ist der Krieg nämlich eigentlich schon zu Ende. Selbst die Oberste Heeresleitung hat die Niederlage schon insgeheim eingestanden. Dass Deutschland mit den Alliierten über einen Waffenstillstand verhandelt, ist den Soldaten klar. Allein die Marine will dies nicht akzeptieren. Am 29. Oktober 1918 ergeht an die Matrosen in Wilhelmshaven der Befehl, mit der deutschen Flotte zur letzten Schlacht gegen das übermächtige England auszulaufen.

Aber der Überlebenswille ist nach vier entbehrungsreichen und grausamen Jahren stärker als der Gehorsam. Es sind die unter Deck stationierten Heizer, die den Befehl als erste verweigern und das Feuer aus den Kesseln nehmen, um ein Auslaufen unmöglich zu machen: Ihnen droht im Fall eines Beschusses der grausamste Tod. Dann machen auch andere Matrosen mit.

Aus Meuterei wird Revolution

Als 50 Anführer des Aufstands verhaftet und ins Gefängnis von Kiel gebracht werden, solidarisieren sich die Werftarbeiter. Anfang November 1918 eskaliert die Lage, als eine Patrouille das Feuer auf die Demonstranten eröffnet. Acht Tote und 30 Verletzte sind die Folge. Aber die Matrosen sind nicht mehr aufzuhalten. Einen Tag später nehmen sie Kiel, befreien die Gefangenen und stellen erstmals auch politische Forderungen nach mehr Mitbestimmung sowie nach Presse- und Redefreiheit.

Der Funke springt auch auf andere Städte und Länder – und auf weitere Bevölkerungsschichten – über. Aus der Meuterei ist eine Revolution erwachsen. Die Könige in Bayern und Sachsen danken ab, bevor Blut fließen muss. Am 9. November erreicht die Revolution Berlin. Kaiser Wilhelm II. muss gehen, Philipp Scheidemann (SPD) ruft die Weimarer Republik aus. Die Zeit der Monarchien ist vorbei, die Phase der Demokratie beginnt.

Derweil stricken einflussreiche Mächte schon an der "Dolchstoßlegende", die die Niederlage der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg den demokratischen Kräften im Lande in die Schuhe schiebt.

Stand:29.10.2013

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