Oliver Sacks

Stichtag

9. Juli 1933 - Oliver Sacks wird geboren

Er ist anders als andere Neurologen. Schon als junger Arzt fällt Oliver Sacks durch unorthodoxe Methoden auf. Eine seiner Patientinnen leidet am Devics-Syndrom. Sie ist gelähmt, erblindet und weiß, dass sie nicht mehr lange lebt. Sie möchte noch einmal auf dem Motorrad durch die kalifornische Wüste brausen. Sacks erfüllt ihr den Wunsch: "Sie wurde auf das Motorrad gehoben und an mir festgebunden. Sie scheint es sehr genossen zu haben." Ihn interessieren nicht nur komplexe Krankheitsbilder, sondern auch das individuelle Schicksal hinter jeder Krankheit.

Die Geschichten seiner Patienten sind für Sacks der Schlüssel zum Verständnis der Erkrankungen. Über seine medizinischen Erkenntnisse verfasst er auch Bücher: "Ich schreibe in dem Sinne keine Fallgeschichten, ich schreibe Überlebensgeschichten. Geschichten davon, wie man mit diesen Krankheiten lebt, davon, wie die Krankheit das Denken der Menschen und ihr Empfinden, ihre Moral beeinflusst." Seit den 1980er Jahren erreicht er mit seinen Schilderungen, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt werden, weltweit ein Millionenpublikum. Eines seiner bekanntesten Werke heißt "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Darin geht es um Störungen im Gehirn.

"Eine wunderbare Offenbarung"

Den Hang zum Geschichtenerzählen hat Oliver Wolf Sacks in seiner Jugend entwickelt. Er wird am 9. Juli 1933 in London geboren und wächst in einem Mediziner-Haushalt auf. Sowohl seine Eltern und als auch seine drei älteren Brüder sind Ärzte. "Die Tischgespräche drehten sich immer um Medizin, und immer wurden sie als Geschichten präsentiert." Auch Oliver soll Arzt werden: Mit elf Jahren seziert er unter Anleitung seiner Mutter Föten, die die Gynäkologin aus der Klinik mitbringt. Als 14-Jähriger muss er die Leiche eines gleichaltrigen Mädchens sezieren - ein Erlebnis, das ihn prägt. Sacks ist eher schüchtern - und im Umgang mit Menschen "ein Trottel", wie er bis heute gern betont.

Nachdem Sacks in Oxford Physiologie, Biologie und Biochemie studiert hat, geht er 1960 in die USA und arbeitet in San Francisco und Los Angeles als Wissenschaftler. "Als ich nach New York kam, wollte ich Labor-Wissenschaftler werden, aber das endete in einer Reihe von Missgeschicken", erinnert sich Sacks. Ihm sei geraten worden, mit Patienten zu arbeiten: "Da richtest du weniger Schaden an." Die neue Aufgabe sei für ihn "eine wunderbare Offenbarung" geworden.

"Zeit des Erwachens"

In einem New Yorker Krankenhaus trifft Sacks 1966 auf Patienten, die dort vor sich hin vegetieren - bewegungsunfähig, der Welt entrückt. Er findet heraus, dass sie an der sogenannten Schlafkrankheit leiden, die zwischen 1916 und 1927 Millionen von Menschenleben gefordert hatte. Sacks behandelt die Überlebenden mit dem neuen Medikament "L-Dopa", das anschlägt. Doch nach wenigen Tagen lässt die Wirkung nach. Die Erwachten fallen zurück in ihre Lethargie. Sacks verarbeitet seine Erfahrungen mit den Schlafkranken in seinem Buch "Zeit des Erwachsens". Sein literarisches Debüt von 1973 wird ein Bestseller, der 1989 sogar in Hollywood verfilmt wird.

Seither erzählt Sacks in seinen Büchern immer wieder von den Geschichten seiner Patienten: unter anderem über Farbenblindheit, Autismus, das Tourette-Syndrom, Migräne, Gesichtsblindheit und Ohrwürmer. In seinem jüngsten Werk geht es um Menschen mit Halluzinationen: "So wie jemand zum Mond fliegen möchte oder in die Antarktis", sagt Sacks, "so möchte ich wissen, wie das für sie ist, wo sie waren, und mich in sie hineinversetzen."

Stand: 09.07.2013

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