Jürgen W. Möllemann, Vorsitzender der NRW-FDP von 1983 bis 1994 sowie von 1996 bis 2002

Stichtag

5. Juni 2003 - Jürgen W. Möllemann stirbt nach Fallschirmsprung

Parteifreunde bezeichnen ihn als "Quartalsirren" oder beschimpfen ihn als "intrigantes Schwein": Jürgen W. Möllemann gilt als umstrittenster und gleichzeitig erfolgreichster Wahlkämpfer der FDP. Der am 15. Juli 1945 in Augsburg geborene Politiker hat es vom Studentensprecher und Hauptschullehrer bis zum Bundesbildungsminister, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler gebracht. "Kämpfen, Jürgen, kämpfen" lautet sein Lebensmotto.

Im Januar 1993 tritt Möllemann allerdings von seinem Bonner Ministeramt zurück, weil er sich mit Werbeschreiben auf amtlichem Papier bei Handelsketten für den Einkaufswagen-Chip seines angeheirateten Vetters eingesetzt hat. Politisch aktiv bleibt Möllemann als Landeschef der NRW-FDP, die er seit 1983 führt. Nach seinem Wahlerfolg bei der NRW-Landtagswahl im Jahr 2000 wird Möllemann zum neuen FDP-Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag gewählt. Nun will er endlich seinen Wunsch verwirklichen, endlich Bundesvorsitzender der FDP zu werden und Wolfgang Gerhardt in diesem Amt abzulösen. Vergeblich: Neuer Parteichef wird Guido Westerwelle. Möllemann wirbt dennoch weiter für sein "Projekt 18", das die FDP als Volkspartei mit mindestens 18 Prozent Wähleranteil etablieren soll.

Hetze gegen Israel und Friedman

Um sein Ziel zu erreichen, setzt Möllemann im Bundestagswahlkampf 2002 auf Rechtspopulismus. Er kritisiert die "kriegstreiberische" Palästina-Politik von Israels Ministerpräsident Ariel Sharon und macht den Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman, durch seine angeblich "intolerante und gehässige Art" mitverantwortlich für den Antisemitismus in Deutschland. Ein von Möllemann veröffentlichtes Flugblatt sorgt für einen weiteren Eklat. Erneut hetzt er darin gegen Israel und Friedman - und finanziert es mit Spendengeldern, deren Herkunft bis heute nicht geklärt ist.

Bei der Bundestagswahl im September 2002 erreicht die FDP nur 7,4 Prozent. Daraufhin zieht Möllemann die Konsequenz: "Um der FDP eine Zerreißprobe zu ersparen, trete ich von meinem Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender zurück." Einen Monat später gibt er auch den Landesvorsitz der NRW-FDP ab. Westerwelle droht ihm wegen der dubiosen Flugblatt-Finanzierung mit dem Parteiausschluss. Dem Rauswurf kommt Möllemann im März 2003 mit seinem Austritt zuvor. Am 1. Juni desselben Jahres meldet sich Möllemann in der ARD-Talkshow von Sabine Christiansen ein letztes Mal öffentlich zu Wort: "Wenn man einen Punkt erreicht, an dem es nicht mehr geht, dann muss man sich verabschieden können und über Neues nachdenken."

Illegale Parteienfinanzierung, Untreue, Steuerhinterziehung

Vier Tage später, am 5. Juni 2003, hebt der Bundestag die Immunität des mittlerweile fraktionslosen Abgeordneten Möllemann auf. Unmittelbar danach durchsuchen Beamte der Staatsanwaltschaft sein Haus in Münster. Die Vorwürfe: illegale Parteienfinanzierung, Untreue, Steuerhinterziehung. Vor der Durchsuchung setzt sich Möllemann durch die Hintertür ab. Gegen zwölf Uhr mittags besteigt der erfahrene Fallschirmspringer am Flugplatz Loemühle bei Marl mit einer Gruppe eine Propellermaschine. Möllemann lässt sich als neunter der zehn Männer aus der Maschine fallen - aus einer Höhe von über 4.000 Metern. Die letzten rund 1.000 Meter rast er ungebremst und ohne Schirm zu Boden. "Er muss ihn abgetrennt haben", berichtet ein Augenzeuge. Der Notschirm sei nicht ausgelöst worden und das automatische Rettungssystem, das sich bei Bewusstlosigkeit des Springers selbst aktiviere, habe nicht gezündet - weil es offenbar abgeschaltet worden sei.

Möllemanns Witwe und seine Töchter klagen in ihrer Todesanzeige diejenigen an, "die auf niederträchtige Weise versucht haben, sowohl den Menschen Jürgen W. Möllemann wie auch sein politisches Lebenswerk zu zerstören" und ließen Beileidsbriefe von FDP-Führungsmitgliedern ungeöffnet zurückgehen. Mit einem offiziellen Staatsakt wird Möllemann nicht geehrt. Im April 2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, dass die FDP für den unrechtmäßigen Umgang Möllemanns mit Spendengeldern eine Strafe von mindestens zwei Millionen Euro zahlen muss.

Stand: 05.06.2013

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