Stahlarbeiter demonstrieren vor dem Werksgelände des Krupp-Stahlwerkes in Duisburg-Rheinhausen

Stichtag

26. November 1987 - Schließung des Hüttenwerks Rheinhausen wird publik

Rheinhausen - 90 Jahre lang stand der Name stellvertretend für Europas größte Stahlschmiede. Seit Friedrich Alfred Krupp 1897 in dem 1975 nach Duisburg eingemeindeten Ort die ersten Hochöfen anbliesen ließ, bot die Hütte Generationen von Familien sichere Arbeitsplätze mit eigenen Werkswohnungen und Sozialeinrichtungen. Man war Kruppianer, von der Lehre bis zur Rente.

"Und dann ist da so ein Moment, wo man das Gefühl hat, man kriegt den Boden unter den Füßen weggerissen“, erinnert sich der frühere Stahlkocher Jürgen Köhnen an jenen 26. November 1987. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich während seiner Nachtschicht die Nachricht von der geplanten Schließung des Werks. Plötzlich stehen 5.300 Arbeitsplätze auf der Kippe. Rheinhausen ohne Krupp? Unvorstellbar, denn trotz Stahlkrise galt bislang: Bei Krupp wird nicht entlassen.

"Den Vorstand in die Knie zwingen"

Wie Mannesmann könne auch Krupp nicht "auf Dauer Hüttenwerke weiter betreiben, mit denen jedes Jahr mehrere hundert Millionen D-Mark Verlust gemacht werden", verteidigt Vorstandschef Gerhard Cromme drei Tage später seinen Schließungsplan. Doch die Kruppianer fühlen sich von ihren Managern verraten und verkauft, Cromme wird zum meistgehassten Mann in Duisburg. "Es kann doch nicht sein, dass eine kleine Clique, eine kleine Mafia, mit den Menschen in diesem Land macht, was sie will", hält der Obermeister Helmut Laakmann Cromme wütend entgegen.

Laakmanns Worte, "diesen Vorstand in die Knie zu zwingen", schlagen bei der Belegschaft ein wie ein Blitz. Sie bewirken einen Stimmungsumschwung unter den niedergeschlagenen Stahlkochern und werden zur Initialzündung des härtesten Arbeitskampfes, den die Bundesrepublik bislang erlebt hat. Der damalige Betriebsrat Theo Steegmann weiß noch, wie es ihm bei der Rede Laakmanns, eines Mannes aus der Leitungsebene und den meisten Arbeitern unbekannt, "eiskalt den Rücken runter gelaufen ist." Sie löst eine Solidaritätswelle aus, die zunächst die Menschen in Rheinhausen, dann in Duisburg und schließlich im gesamten Ruhrgebiet mobilisiert.

Faustschlag für Norbert Blüm

Prominenz aus Politik und Kultur eilt nun zu Sympathiebekundungen nach Rheinhausen. Nicht jeder wird von den vor Wut kochenden Stahlarbeitern freudig begrüßt. "Alle waren vor dir da! Warum kommste erst jetzt?" muss sich IG-Metall-Chef Franz Steinkühler fragen lassen; Bundesarbeitsminister Norbert Blüm kassiert bei einer Kundgebung gar einen Faustschlag in den Magen. Monatelang sorgen die Stahlwerker bundesweit für Schlagzeilen. Sie sperren die Brücke von Rheinhausen nach Duisburg, stürmen Aufsichtsratssitzungen oder den Krupp-Familiensitz Villa Hügel in Essen und veranstalten Kundgebungen mit zehntausenden Teilnehmern.

Weihnachten und Silvester feiern die Arbeiter mit ihren Familien auf dem Werksgelände. Eine Menschenkette von Rheinhausen bis zum Dortmunder Hoesch-Werk bringt schließlich das ganze Ruhrgebiet zum Stillstand. Doch trotz aller Demonstrationen und Verhandlungen mit der Konzernleitung ahnen die Kruppianer, dass sie ihre Arbeitsplätze nicht werden verteidigen können. In einer letzten verzweifelten Aktion dringen Stahlarbeiter im April 1988 in die Bannmeile des Düsseldorfer Landtags ein und legen durch Sperrung der Rheinknie-Brücke die Landeshauptstadt lahm.

Nach 160 Tagen endet der erbitterte Arbeitskampf um Rheinhausen mit einem Kompromiss: Die Komplett-Schließung wird verschoben und zunächst nur ein Hochofen stillgelegt. Zwar verlieren 3.000 Menschen damit ihre Arbeit, doch es gibt keine Entlassungen. Ältere scheiden über einen Sozialplan aus, Jüngere wechseln in andere Werke. Erst im August 1993 kommt das endgültige Aus für das industriehistorisch so bedeutende Stahlwerk in Rheinhausen.

Stand: 26.11.2012

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