Logo der Roten Listen und eine Meeresschildkröte

31. Oktober 1977 - Rote Listen bedrohter Tiere und Pflanzen vorgelegt

Wenn der Spatz in Deutschland verschwände, was wären die Folgen? Wären auch andere Tier- oder Pflanzenarten bedroht? Wären Teile des Ökosystems, zum Beispiel die Wasserkreisläufe oder die Biomasseproduktion gestört? Wissenschaftler wissen nicht bei allen Tier- und Pflanzenarten, was geschieht, wenn sie von der Erde verschwinden. Sie wissen aber, dass die Stabilität eines Ökosystems mit der Artenvielfalt steigt. Laut IUCN, der internationalen Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen, gelten 2007 rund zwölf Prozent der Vogelarten als bedroht, 20 Prozent sind es bei den Säugetieren und 29 Prozent bei den Amphibien. Und mit dem "Living Planet Index" gibt der WWF im Mai 2012 bekannt, dass die Artenvielfalt auf der Erde seit 1970 um 30 Prozent geschrumpft ist, besonders stark in tropischen Flüssen und Seen. Rund 34.000 Arten sind laut WWF weltweit vom Aussterben bedroht. In Deutschland sind durch intensive Landwirtschaft vor allem Gebiete in Nord- und Westdeutschland betroffen. "Als der Artenrückgang zum ersten Mal bewusst wahrgenommen wurde, national wie international, war das der Anlass, alle Länder aufzufordern, Rote Listen gefährdeter Pflanzen- und Tierarten zu erstellen", erklärt Wolfgang Schumacher, emeritierter Professor für Geobotanik und Naturschutz und Mitverfasser der ersten Roten Listen in Deutschland.

Rote Listen: Erst Broschüre, dann mehrere dicke Bücher

1966 legt die IUCN zum ersten Mal Rote Listen für bedrohte Tier- und Pflanzenarten vor. Am 31. Oktober 1977 erscheinen die ersten nationalen Listen in Deutschland, zunächst als Broschüre. Heute erscheinen verschiedene Rote Listen in dicken Büchern; das Bundesamt für Naturschutz aktualisiert sie etwa alle zehn Jahre. 2009 erschien der neue Band über Wirbeltiere, 2011 über Flechten und Schleimpilze, im August 2012 folgte der Band über wirbellose Tiere und Schmetterlinge. Weitere Rote Listen verzeichnen Meerestiere und Pflanzengesellschaften wie zum Beispiel die Streuobstwiese oder das Hochmoor.

Inventur für Naturschützer und Umweltpolitiker

Heute zählen über 1.000 ehrenamtliche Helfer in Deutschland Tiere und Pflanzen in einem ausgewählten Gebiet. "Man wird diese Arbeit nie professionell bezahlen können. Das würde jedes Budget sprengen", sagt Andreas Krüss vom Bundesamt für Naturschutz. Die Tabellen der Roten Listen zeigen, wo Bestände und Arten zurückgehen oder sich erholen. Ohne diese Inventur wüssten Naturschützer und Umweltpolitiker nicht, wo sie am dringendsten handeln müssen. "Man kann nur erhalten, was man kennt", so die Devise beim Bundesamt für Naturschutz. Im schlimmsten Fall könnten Arten aussterben, die sich vielleicht würden retten lassen, wüsste man mehr über ihre Häufigkeit und Verbreitung.

Braunbär und Europäischer Nerz: "Ausgestorben oder verschollen"

Die Roten Listen sind also nicht nur ein bloßes Verzeichnis, sondern zeigen Trends an. Kategorie 1 steht zum Beispiel für "Vom Aussterben bedroht": die Moorente etwa oder die westliche Smaragdeidechse; Kategorie 3 versammelt unter dem Prädikat "gefährdet" Tiere wie den Aal oder den Fahlen Laub-Augenhornhalbflügler. Zur Kategorie 0 gehören das Steinhuhn, der Braunbär und der Europäische Nerz: "Ausgestorben oder verschollen". Pfeile, Gleichheitszeichen oder Buchstaben zeigen in den Roten Listen den Trend, ob also dramatische Bestandseinbußen drohen oder die Wiederansiedlung in Zukunft erschwert ist. Und die Roten Listen zeigen auch, wo sich eine Tier- oder Pflanzenart in ihrem Bestand wieder erholt hat. Für Reh und Kranich sagt die Liste: sehr häufig, ungefährdet.

Vollständig sind die Listen bei Weitem nicht: Fast zwei Drittel unserer Tier-, Pilz- und Pflanzenarten sind aufgrund des geringen Kenntnisstandes bislang nicht bewertet worden. Von rund 48.000 in Deutschland nachgewiesenen Tierarten sind 16.000 in den Roten Listen erfasst, bei den Pflanzen und Pilzen sind es von 24.700 Arten 13.900, also etwas mehr als die Hälfte.

Rote Listen sind in Gefahr

Allerdings könnten die Roten Listen bald selbst mit dem Buchstaben E gekennzeichnet werden, für extinct – ausgestorben. Gefährdet ist nicht nur die ehrenamtliche Mitarbeit, zunehmend mangelt es an Artenkennern, an Taxonomen. Die Universitäten fördern Genetiker und Molekularbiologen, taxonomische Kenntnisse sind wenig gefragt. "Organismische Biologie wird an den Universitäten nur noch im geringen Umfang gelehrt, das heißt auch die Professoren und ihre Mitarbeiter werden in absehbarer Zeit kaum noch in der Lage sein, solche Listen zu erstellen", so Professor Wolfgang Schumacher, Mitautor der ersten Roten Listen.

Stand: 31.10.2012

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