Frau schiebt gefüllten Einkaufswagen durch US-Supermarkt (s/w, 1940)

Stichtag

8. September 1937 - Der erste Einkaufswagen kommt zum Einsatz

Ins Auge fällt er nur noch dort, wo er nicht hingehört: zweckentfremdet als Blumenkorb oder Grill im Kleingarten, als rostendes Drahtgestell im Gebüsch, als Transportkarre von Hab und Gut eines Obdachlosen oder umgestaltet zum teuren Design-Stuhl. Rund 20 Millionen Einkaufswagen rollen derzeit durch deutsche Supermärkte und jedes Jahr werden etwa 100.000 von ihren Arbeitsplätzen "entführt".

Die Geschichte des vielseitigen Draht-Mulis beginnt vor 75 Jahren im amerikanischen Oklahoma City. Dort will Sylvan Goldman, Besitzer des Humpty-Dumpty-Supermarkts, seinen Umsatz fördern und gleichzeitig den Kunden das Schleppen voller Einkaufstüten ersparen. So montiert Goldman Räder und einen Metallkorb an einen simplen Klappstuhl und stellt am 8. September 1937 die ersten "shopping carts" vor seinem Supermarkt auf.

Bayrisch-amerikanisches Treffen mit Folgen

Zu Goldmans Enttäuschung bleiben sie zunächst ungenutzt stehen. Seinen männlichen Kunden sind die Dinger zu feminin und Frauen wollen beim Einkauf kein Kinderwagen-ähnliches Gestell vor sich herschieben. Erst als der findige Supermarkt-Chef Statisten engagiert, die gut gelaunt mit randvollen "shopping carts" durch den Laden kurven, kommt seine Erfindung ins Rollen. 1940 lässt sich Goldman den Urtyp des Einkaufswagens patentieren.

Wenige Jahre später trifft Rudolf Wanzl, Juniorchef einer Metallwarenfabrik aus Leipheim bei Günzburg, in den USA mit dem Einkaufswagen-Erfinder zusammen. Es ist eine folgenreiche Begegnung, denn sie legt den Grundstein für den Aufstieg des kleinen bayrischen Familienunternehmens Wanzl zum Weltmarktführer bei Einkaufswagen. Den Anfang machen 20 Modelle namens "Pick-up", Wägelchen mit zwei eingehängten Drahtkörben, die 1949 aus Leipheim an einen SB-Laden in Hamburg geliefert werden. Nach Erfindung der klappbaren Rückfront durch den Amerikaner Orla Watson, die das Zusammenschieben der Wagen ermöglicht, baut Wanzl 1957 den Typ "Concentra". Er ist bis heute nahezu unverändert das Basismodell aller Einkaufswagen und leitet endgültig dessen weltweiten Siegeszug ein.

Einkauf mit Blue-Tooth-Steuerung

Zubehör wie Taschenhaken, Kindersitze oder Großablagen unter dem Warenkorb machen den Einkaufswagen noch praktischer. In den 80er Jahren löst die Einführung von Sperrkette und Pfandschloss das größte Problem der Supermärkte. Bislang lassen Kunden ihre geleerten Packesel nach dem Umladen ins Auto meist einfach stehen, was zu Chaos auf den Parkplätzen führt. Nun aber bringen sie die Wagen selbst zurück, um den eingesteckten Chip oder die Geldmünze wieder auszulösen. Auch die Diebstahlsrate geht zurück. Um sie weiter zu reduzieren, wird inzwischen mit Funksystemen experimentiert, die bei Überfahren der Grundstücksgrenze mit dem Einkaufswagen Alarm auslösen oder die Räder blockieren.

Heute baut allein die Firma Wanzl jährlich für Märkte verschiedenster Art, Bahnhöfe und Flughäfen knapp zwei Millionen Einkaufswagen in über 200 Varianten. Zwischen 90 und 350 Euro kosten sie je nach Ausstattung und legen bei einer Haltbarkeit bis zu zehn Jahren rund 40.000 Kilometer zurück. Weil größere Körbe auch zu mehr Einkäufen animieren, ist deren Volumen seit den Zeiten des "Pick-up" von 40 auf rund 200 Liter gestiegen. Neueste High-Tech-Wagentypen mit Waren-Display, Memory-Funktion und sogar Blue-Tooth-Steuerung sind bereits in der Testphase. Fehlt eigentlich nur noch der selbstfahrende Einkaufswagen, der uns auch noch das Schieben abnimmt.

Stand: 08.09.2012

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