In den Fels geschlagene Fassaden Ruinenstadt Petra

Stichtag

22. August 1812 - J. L. Burckhardt entdeckt die Ruinenstadt Petra wieder

"Die Felsen auf jeder Seite des Flusses sind ungefähr 80 Fuß hoch; an manchen Stellen stehen sie oben nicht so weit auseinander als an der Erde, und man kann von unten den Himmel nicht sehen", so beschreibt Johann Ludwig Burckhardt den Siq, eine knapp anderthalb Kilometer lange Schlucht. An dessen Ende erwartet ihn ein Wunder: das "Schatzhaus des Pharao", so nennen die Einheimischen ein Monument, eine rund 30 Meter hohe Fassade, kunstvoll heraus gemeißelt aus dem rötlich bis ockergelb leuchtenden Fels. Seit den Kreuzzügen hat kein Europäer diesen Ort betreten: Petra, die Hauptstadt des versunkenen Reiches der Nabatäer, versteckt im unwegsamen Berggelände im Süden Jordaniens. Johann Ludwig Burckhardt, Schweizer, 27 Jahre alt und verkleidet als Scheich, notiert akribisch, was er an jenem Sommermorgen sieht. "Zur Linken findet sich hier ein ganz aus dem Felsen gehauenes Theater mit allen seinen Sitzen. … ungefähr 150 Schritte [weiter] öffneten sich die Felsen noch mehr und ich trat auf eine 200 bis 300 Ellen breite, von allmählich ansteigenden Anhöhen begrenzte Ebene. Hier ist der Boden mit Haufen behauener Steine, mit Fundamenten von Gebäuden, Bruchstücken von Säulen und Überresten gepflasterter Straßen bedeckt. Alles zeigte deutlich an, dass einst eine große Stadt hier gestanden."

Burckhardt verkleidet sich als Scheich

Johann Ludwig Burckhardt, Sohn eines reichen Kaufmanns aus Basel, ist im Auftrag der britischen Afrika-Gesellschaft unterwegs. Drei Jahre lang lernt er in Aleppo Arabisch und verwandelt sich schließlich in einen Araber. Fortan nennt er sich Sheikh Ibrahim ibn Abdallah. Während sich in Europa Kaiser Napoleon auf dem Zenit seiner Macht befindet, durchstreift Burckhardt alias Ibrahim den Vorderen Orient. Von verschiedenen Bekannten hört er, die versunkene Nabatäerstadt befinde sich in der Nähe von Aarons Grab. Verkleidet als Pilger reist er dorthin und entdeckt am 22. August 1812 Petra - Griechisch für Stein - für die Europäer wieder. Die Nabatäer, ein arabischer Nomadenstamm, kontrollierten etwa ab dem vierten Jahrhundert vor Christus den Handel mit Weihrauch auf der Arabischen Halbinsel. Das süßlich duftende Baumharz, das nur in Südarabien vorkommt, war in der Antike bei Priestern, Ärzten und Königen äußerst begehrt. "Eine Kamelladung mit Weihrauch, die in Gaza ankam, hatte einen Gegenwert von einem kleinen Einfamilienhaus", erklärt Professor Robert Wenning, Archäologe an der Universität Münster. "Und die Karawanen, die ankamen, bestanden aus 7.000 bis 10.000 Kamelen", so Wenning. So wie die Ölscheichs von heute in Petrodollars schwelgen, so unermesslich reich waren die Weihrauch-Scheichs damals. Der Talkessel von Petra lag strategisch günstig an der Kreuzung zweier Karawanenstraßen. Dort ließ sich im späten zweiten vorchristlichen Jahrhundert die nabatäische Oberschicht mit ihrem König nieder – und brauchte Wasser.

Grüne, blühende Stadt in der Wüste

Bis heute sind Wissenschaftler fasziniert vom Wassermanagement der Nabatäer. Hans-Dieter Bienert, Archäologe und Programmdirektor bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn, die schon etliche Forschungsprojekte in Petra finanziert hat, erklärt: "Sie haben ein ausgeklügeltes System entwickelt. Es gelang ihnen bestehende Quellen zu nutzen, aber auch Wasser längerfristig zu speichern. Es gibt eine Vielzahl an Zisternenanlagen und Kanälen, in denen sie Regenwasser gesammelt haben." Gegen Sturzfluten, eine große Gefahr in der Felswüste, bauten die Nabatäer Schutzdämme. Rund um die Zeitenwende war Petra eine grüne, blühende Oasenstadt mit 30.000 Einwohnern, reich an Tempeln, Villen und Märkten. Der Untergang der Nabatäer, Anfang des ersten Jahrhunderts nach Christus, ist so geheimnisvoll wie ihr Aufstieg. Robert Wenning: "Was verschwindet ist die politische Elite: Wir hören nichts mehr vom Königshaus. Wir sehen auch, dass in Petra an verschiedenen Heiligtümern alle Kultausübungen aufhören." Rom hatte sich das Reich der Nabatäer einverleibt. Warum und wie genau ist nicht bekannt. In der Folgezeit brach der Weihrauchhandel zusammen, der Schiffstransport machte den Kamelen Konkurrenz, Erdbeben zerstörten wichtige Teile der Infrastruktur.

Erst Petra, dann Abu Simbel

Heute gehört Petra zum Weltkulturerbe, viele Touristen reisen wegen der Stadt nach Jordanien. Johann Ludwig Burckhardt, der Abenteurer aus der Schweiz, sieht Petra nie wieder. Er stirbt fünf Jahre nach seiner Entdeckung in Kairo an einer verschleppten Darmkrankheit. Nach der Nabatäerstadt findet er übrigens auch noch den Tempel von Abu Simbel in Nubien.

Stand: 22.08.2012

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