Eine Dachdeckerin verlegt Isoliermaterial auf Hausdach

Stichtag

11. August 1977 - Die Wärmeschutzverordnung wird verkündet

Staunend blicken die Bundesbürger am 25. November 1973 auf ihre Straßen. Außer Taxen, Einsatzwagen und Frischware-Transportern fährt kein einziges Auto. Spaziergänger und Rollschuhläufer unternehmen Ausflüge auf gähnend leeren Autobahnen. Es ist der erste autofreie Sonntag in Deutschland, mit dem die Bundesregierung auf die Ölkrise reagiert. Um Druck auszuüben, haben die "arabischen Scheichs dem Westen den Ölhahn zugedreht", heißt es damals.

Der Ölpreis war schlagartig von drei auf über fünf Dollar und dann sogar auf über zwölf Dollar pro Barrel (159 Liter) gestiegen. Der Preis-Schock zwingt die Deutschen erstmals zum Energiesparen, und das nicht nur beim Spritbedarf. Denn nicht Industrie und Autoverkehr verbrauchen die meiste Energie; an der Spitze liegt mit 40 Prozent der private Bereich. Deshalb verkündet die Bundesregierung am 11. August 1977 die Wärmeschutzverordnung, um den Energieverbrauch beim Bauen und Wohnen um 13 Prozent zu senken.

Wärmeerzeugung auf dem Prüfstand

Die neuen Vorschriften beziehen sich im Wesentlichen auf die äußeren Gebäudeteile von Neubauten. Sie stellen Handwerker und Architekten nicht vor Probleme, wie Dirk Mobers von der Wuppertaler Energieagentur NRW weiß, denn die erforderlichen Maßnahmen sind längst bekannt: "Sie mussten eigentlich nur mit Wärmeschutz- und Isolierverglasung sowie Wärmedämmung im Dach ausgeführt werden." Allerdings, so Mobers, wurde in den 70er Jahren unter deutschen Dächern Mineralwolle mit nur acht Zentimetern Stärke zur Dämmung verlegt, während heute 24 Zentimeter üblich sind.

Auch der Wärmeverlust durch undichte Fenster hat sich seither erheblich verringert. Galt 1978 noch ein Wärmedurchgangskoeffizient, fachmännisch U-Wert genannt, von 3 bis 3,5 als guter Standard, erreichen moderne Fenster einen U-Wert von 1,1. Mit der Heizungsanlagenverordnung von 1978 kommt auch die zumeist noch ineffektive Wärme- und Warmwassererzeugung in Privathaushalten auf den Prüfstand. Das wachsende Bewusstsein über die Endlichkeit fossiler Energien führt zur immer schärferen Leistungsvorschriften und zur Förderung erneuerbarer Energien.

Hightech oder Langlebigkeit

Im Februar 2002 wird die Heizungsanlagenverordnung mit der 1984 und 1995 novellierten Wärmeschutzverordnung zur Energieeinsparverordnung (EnEV) zusammengeführt. Ein großes Manko bleibt aber bestehen, denn die Regelungen gelten weiter nur für Neu- oder Großumbauten. "Wenn wir es mit Klimaschutz und Energieeinsparungen im Gebäudebereich ernst meinen, müssen wir uns vor allem um den Bestand kümmern", kritisiert Dirk Mobers. "Hier sind die großen Energieverbräuche." Experten wie er entwickeln längst Null-Energiehäuser; selbst Plus-Energiehäuser, die mehr produzieren als sie verbrauchen, sind in Planung.

Das allerdings bewertet der Dortmunder Architekt Richard Schmalöer durchaus kritisch, "denn heutige Häuser bestehen zu sehr hohen Anteilen aus nicht recycelbaren Kunstoffen." Die gehen schneller kaputt als mineralische Baustoffe oder Holz und werden bei einem Abriss zu teurem Sondermüll. Schmalöer, der selbst in einem über 100 Jahre alten Haus aus Holz und Stein wohnt, hält es für sinnvoller, kleine Wärmeeinbußen hinzunehmen und dafür langlebigere Häuser zu bauen. "Ein Haus, das nicht abgerissen und wieder aufgebaut werden muss, hat wahrscheinlich den geringeren Energiebedarf im Lauf seines Lebens gehabt", lautet sein Fazit.

Stand: 11.08.2012

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