Kremlflieger Mathias Rust

Stichtag

28. Mai 1987 - Kremlflieger Mathias Rust landet in Moskau

Staunend blickt die Welt nach Moskau. Eine geliehene einmotorige Cessna landet mitten im Kalten Krieg mitten im politischen Zentrum der Sowjetunion. Passanten und Miliz applaudieren, lassen sich sogar Autogramme von dem jungen Piloten geben, der aus der Maschine klettert: Mathias Rust. "Ich habe mir das leichter vorgestellt, nach meinem Kartenbildmaterial. Aber wo in dieser riesigen Stadt liegt der Rote Platz? Es hat über eine halbe Stunde gedauert, bis ich ihn tatsächlich gefunden habe", erinnert sich der damals 19-jährige Hobbypilot aus Hamburg, der am 28. Mai 1987 gegen 18.40 Uhr auf der Großen Moskwa-Brücke ausrollt. Er musste ausweichen, denn auf dem Roten Platzes in der Nähe laufen zu viele Menschen. Sogar Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD) ist beeindruckt: "Respekt vor einer etwas verrückten, aber doch imponierenden sportlichen Leistung. Diesen Respekt kann ich nicht unterdrücken, der muss ja wohl erlaubt sein."

Monika Rust: "Das kann nicht unser Sohn sein"

Später erklärt Mathias Rust: "Ich habe von vornherein den Verlust meines Lebens einkalkuliert. Aber im Vergleich mit dem, was ich beabsichtigte, ist das, was ich dort hätte verlieren können - mein Leben - recht gering gewesen." Er habe die Beziehungen zwischen den Staaten fördern wollen, den Weltfrieden und die Verständigung zwischen den Völkern. Ein halbes Jahr zuvor war der Abrüstungsgipfel in Reykjavík gescheitert. Viele Deutsche halten ihn für einen Geltungssüchtigen, einen Sensationsgierigen. Seine Mutter Monika Rust in Hamburg traut ihren Augen nicht, als sie die Bilder aus Moskau sieht. "Das stimmt nicht, das kann nicht unser Sohn sein."

Die russische Luftabwehr ist abgelenkt

Nach dem Start in Hamburg-Fuhlsbüttel steuert Rust die Färöer an, Island, Bergen, Helsinki und fliegt über Leningrad einer Bahnstrecke folgend nach Moskau. Russische Abfangjäger begleiten die deutsche Cessna seit sie in russisches Territorium eingeflogen ist, drehen aber wieder ab. Ein russischer Fernsehjournalist erklärt, dass die russische Luftabwehr abgelenkt war. "Auf der Flugroute Helsinki-Moskau war am Tag zuvor eine Transportmaschine abgestürzt, eine Tupolew 95. Rettungskräfte flogen zur Unfallstelle, jede Menge Hubschrauber bewegten sich im Luftraum und zwischen diesen Punkten auf dem Radar hat sich Rusts Maschine verloren." Das hat Konsequenzen: Zwei Tage nach der Landung werden der sowjetische Verteidigungsminister Sergei Leonidowitsch Sokolow, der Chef der sowjetischen Luftabwehr Alexander Iwanowitsch Koldunow und weitere 2.000 Generäle und Offiziere entlassen. Geschickt nutzt Generalsekretär Michail Gorbatschow die Sache, um Gegner seiner Perestroika- und Glasnostpolitik loszuwerden.

Absturz nach der Landung

Der Oberste Gerichtshof in Moskau verurteilt Mathias Rust wegen illegaler Einreise, Verletzung internationaler Luftregeln und schwerem Rowdytums zu vier Jahren Arbeitslager. Nach 14 Monaten wird er abgeschoben. Nach seiner Rückkehr in die Heimat beginnt der Abstieg. Rust verbüßt mehrere Haftstrafen wegen des Messerangriffs auf eine Schwesternschülerin, wegen Betrugs und Diebstahls. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er als Pokerspieler im Internet, als Veranstaltungsmanager in Estland und Finanzberater in Asien. Seinen Kreml-Flug sieht Mathias Rust heute so: "Man muss so etwas tun, ohne die Konsequenzen und die Weiterentwicklung einer Geschichte zu kennen. Aber aus heutiger Sicht sage ich: Das würde ich nicht noch Mal bringen."

Stand: 28.05.2012

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.