Serbenführer Slobodan Milosevic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in den Haag am 13.02.2002

Stichtag

12. Februar 2002 - Milošević-Prozess beginnt in Den Haag

Unter seiner Herrschaft kommt es in den 1990er Jahren in Bosnien und im Kosovo zu Kriegsverbrechen durch Serben: Als serbischer und später jugoslawischer Präsident spielt Slobodan Milošević im Bürgerkrieg auf dem Balkan eine zentrale Rolle. Doch 1999 bombardiert die Nato Belgrad; später wird Milošević gestürzt und an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert. Dort beginnt am 12. Februar 2002 der Prozess vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal. "Ich sehe dieses Tribunal als falsches Tribunal an", protestiert Milošević. "Es ist illegal."

Chefanklägerin Carla del Ponte, die das Verfahren eröffnet, wirft dem Angeklagten vor, aus reinem Machthunger Hunderttausenden "unsägliches Leid" angetan zu haben. Milošević sei der Hauptverantwortliche für "mittelalterliche Barbarei und kalkulierte Grausamkeit". Es geht um Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord - begangen als politischer Führer Serbiens. Das Problem: Die Ankläger hatten "nicht genug in der Hand, um Milošević alle ihm zu Last gelegten Verbrechen nachweisen zu können", sagt der Journalist Ludger Kazmierczak, der den Prozess für den ARD-Hörfunk beobachtet hat. Milošević habe sich die Hände nie selbst schmutzig gemacht, sondern Befehle erteilt. Das aber anhand von Befehlsketten nachzuweisen, sei fast unmöglich.

"Wusste er davon? - Natürlich"

Zum ersten Mal muss sich ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor einem internationalen Gericht verantworten. Es geht um Morde und Vertreibungen durch serbische Verbände in Kroatien, Massaker an Muslimen in Vukovar und Srebrenica sowie Deportationen von Albanern im Kosovo. "Wusste er davon? - Natürlich hat er es gewusst", sagt Ankläger Geoffry Nice, der nach Carla del Ponte das Wort übernommen hat. Der Brite verweist auf Berichte, die im Präsidentenbüro eingegangen sind, und auf die heimischen Medien, die ausländische Berichte über Gräuel der serbischen Truppen an Zivilisten übernommen haben.

Als Jurist besteht Milošević auf seinem Recht, sich selbst zu verteidigen. Er verfolgt das Verfahren meist mit verschränkten Armen und spöttischem Lächeln: "Aha, ich war also der Chef aller Bürger Jugoslawiens und für alles verantwortlich - auch wenn ein Fußgänger überfahren wurde." Der Angeklagte kontert alle Vorwürfe und dreht in seiner Verteidigung den Spieß um: "Sie werden sehen, dass der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien von denen ausgelöst und unterstützt wurde, die dieses Tribunal veranstalten: von Deutschland, dem Vatikan und den Vereinigten Staaten."

Tot in der Zelle aufgefunden

Milošević spielt auf Zeit, er traktiert das Gericht mit ausufernden Befragungen und juristischen Winkelzügen. Schließlich verliert Richter Patrick Robinson die Geduld: "Ich bin angewidert von Ihrem Verhalten! Sie haben dieses Gericht schamlos missbraucht!"

Vier Jahre lang tritt der Prozess auf der Stelle. Dann wird Milošević am 11. März 2006 tot in seiner Zelle aufgefunden. Gutachter stellen einen Herzinfarkt als Todesursache fest und das Gericht teilt mit: "Sein Tod schließt das Verfahren." Über die Bewertung dieses unvollendeten Verfahrens gehen die Meinungen auseinander. Eine Vertreterin der Anklage ist zufrieden: "Der Prozess wird so wichtig wie die Nürnberger Prozesse, weil die Beweise zählen. Die Beweise sind wichtiger als das Urteil." Das Gericht jedoch teilt mit, Miloševićs Tod habe nicht nur ihn selbst, sondern alle betroffenen Parteien eines Urteils beraubt.

Stand: 12.02.2012

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