Filmszene aus dem Musical "My Fair Lady"

Stichtag

15. März 1956 - Das Musical "My Fair Lady" wird uraufgeführt

Es geht um eine Wette: "Sehen Sie diese Kreatur mit ihrem Rinnstein-Jargon, der sie bis an ihr Lebensende an die Gosse fesseln wird?", fragt Professor Henry Higgins seinen Freund Oberst Hugh Pickering. Gemeint ist Eliza Doolittle, ein Blumenmädchen im Londoner Covent Garden. "Sechs Monate Unterricht - und ich könnte sie ausgeben als Herzogin für einen Diplomatenball!" Daraufhin traktiert Sprachforscher Higgins die junge Frau mit Sprechübungen, um sie zur Lady zu machen. Das ist die Grundidee eines der erfolgreichsten Musicals, das der New Yorker Broadway je gesehen hat: Am 15. März 1956 hat "My Fair Lady" dort Premiere. Bald ist die Show zwei Jahre im Vorhinein ausgebucht. Für die wenigen Stehplätze übernachten die New Yorker sogar vor der Theaterkasse. Mit 2.717 Vorstellungen in Folge bricht "My Fair Lady" alle Rekorde.

Vorlage von George Bernhard Shaw

Zu Anfang scheint der Erfolg allerdings keineswegs vorgezeichnet zu sein. Der Vorlage von "My Fair Lady", dem Theaterstück "Pygmalion" von George Bernard Shaw, fehlt so ziemlich alles, was ein Musical auszeichnet: kein Herz, kein Schmerz, kein Liebesgeflüster. Komponist Frederick Loewe und Autor Alan Jay Lerner, der spätere Librettist von "My Fair Lady", gestalten den Stoff deshalb um. Anders als die literarische Vorlage erzählt "My Fair Lady" schließlich eine Lovestory - über zwei Herzen, die in aller Feindschaft nicht voneinander lassen können. Dazu suchen sich die beiden Initiatoren einen zugkräftigen Star: Rex Harrison gilt damals als schönster Mann der Welt, nur singen kann er nicht. Eine normale Melodie, so Loewe, hätte Harrison als Professor Higgins niemals halten können. Deshalb schreibt der Komponist die Songs als Sprechgesang. Die Rolle von Eliza Doolittle übernimmt die Sängerin Julie Andrews.


Nach der Uraufführung in den USA wird das Musical bald in die ganze Welt exportiert. "Die Mischung aus Schauspielszenen und Gesangsnummern, das war eine Sache, die das Publikum nachvollziehen konnte", erinnert sich Friedrich Schoenfelder, der bei der deutschen Premiere 1961 im Berliner "Theater des Westens" den Pickering, später dann den Higgins spielte. Es habe alles so aussehen müssen wie am Broadway, "jede Krawatte, jeder Schuh, jeder Anzug" sei vorgeschrieben gewesen.

Symbol für die Verbundenheit mit West-Berlin

Trotzdem droht in Berlin zunächst das vorläufige Ende des weltweiten Siegeszugs von "My Fair Lady": Mitten in den Proben beginnt der Mauerbau. Die Theaterdirektion fürchtet um die Einnahmen. Um den Wegfall der Zuschauer aus dem Ostteil der Stadt zu kompensieren, wird eine Musical-Luftbrücke eingerichtet: von West-Deutschland nach West-Berlin. Allabendlich wird das Publikum aus Köln, Frankfurt am Main und München eingeflogen - und Professor Higgins kann auf der Bühne ausrufen: "Mein Gott, jetzt hat sie's!" Fast zwei Jahre lang wird dem "Theater des Westens" auf diese Weise ein volles Haus beschert. Für die Bundesrepublik wird "My Fair Lady" zu einem politischen Symbol der Verbundenheit mit West-Berlin.

Stand: 15.03.2011

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