7.11.68: Beate Klarsfeld bei ihrer Verhaftung

Stichtag

1. April 1971 - Beate Klarsfeld zeigt sich selbst an

Seine Vorgesetzten bescheinigen ihm: "Wille: zäh; Charakter: aufrecht; nationalsozialistisches Weltbild: gefestigt." Kurt Lischka ist seit Mitte der 1930er Jahre für die Gestapo tätig. Nach der Reichspogromnacht ist er für die Massenverhaftungen deutscher Juden verantwortlich.

Von Januar bis Oktober 1940 leitet Lischka die Gestapo in Köln. Anschließend ist er bis Oktober 1943 Polizeichef im besetzten Paris. Als "Schreibtischtäter" gehört der promovierte Jurist zu den Hauptverantwortlichen, die rund 76.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager deportieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebt Lischka unbehelligt in Köln. In Frankreich wird er 1950 zwar in Abwesenheit zur lebenslanger Haft verurteilt, doch die Bundesrepublik liefert ihn, weil er deutscher Staatsbürger ist, nicht aus. Das verbietet das Grundgesetz. Auch einen eigenen Prozess wollen die deutschen Behörden nicht anstrengen. Die Begründung: Das folge aus dem "Überleitungsvertrag" zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten. Paragraph drei verbiete es deutschen Gerichten, eine Person zu verfolgen, wenn ein alliiertes Gericht bereits abschließend über sie geurteilt hat.

"Auf einen großen Skandal aufmerksam machen"

Für "Nazi-Jägerin" Beate Klarsfeld ist das ein Skandal. Sie wurde 1968 bekannt, als sie Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) ohrfeigte und so dessen NS-Vergangenheit weltweit bekannt machte. Nun will sie - zusammen mit ihrem Mann Serge und drei jüdischen Helfern - Lischka entführen. In Paris soll er der französischen Justiz übergeben werden. Doch der Plan misslingt: Als Lischka am 22. März 1971 vor seiner Wohnung in Köln-Holweide betäubt und in ein Auto gestoßen werden soll, kommen ihm Passanten zu Hilfe. Die "Klarsfeld-Bande", wie sie später in den Medien genannt wird, muss fliehen. Beate Klarsfeld fährt nach Paris zurück, wo die damals 32-jährige Berlinerin seit 1960 wohnt. Sie informiert die Presse, doch Lischka bleibt trotz zahlreicher Artikel weiterhin auf freiem Fuß. Dafür erlässt das Kölner Amtsgericht Haftbefehle gegen die Klarsfelds.

Am 1. April 1971 taucht Beate Klarsfeld unangemeldet bei der Kölner Staatsanwaltschaft auf und zeigt sich selbst an: "Wenn Sie Lischka nicht festnehmen, dann müssen Sie mich festnehmen." Ihr Kalkül geht auf: Sie kommt für gut zwei Wochen in Untersuchungshaft und wird angeklagt. Das ruft internationale Proteste hervor. Beate Klarsfeld nutzt das öffentliche Interesse für ihre Botschaft: "Mit einem kleinen Skandal auf einen großen aufmerksam machen."

Klarsfeld verurteilt - Lischka auf freiem Fuß

1974 wird Beate Klarsfeld in ihrem Prozess zu zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, die sie aber nie absitzen muss. Lischka bleibt weiterhin in Freiheit. Zwar haben sich die deutsche und die französische Regierung bereits im Februar 1971 auf ein Zusatzabkommen geeinigt, was eine juristische Verfolgung ermöglichen würde. Doch der Bundestag verzögert die Zustimmung Jahr um Jahr.

Hauptverantwortlich für die Verschleppung ist der FDP-Abgeordnete Ernst Achenbach aus Essen. "Achenbach nutzte seine Schlüsselstellung als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses dazu, die Unterzeichnung des Zusatzabkommens zu blockieren". Zu diesem Schluss kommt 2010 die Historikerkommission, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes dessen Rolle im Zweiten Weltkrieg untersucht hat. Spitzendiplomat Achenbach wurde noch unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) befördert. "Eine entscheidende Ursache für Achenbachs unantastbare Position dürfte seine Rolle als Königsmacher (...) der sozialliberalen Koalition gewesen sein", so die Kommission. Wie Serge und Beate Klarsfeld recherchiert haben, war Achenbach selbst in die Deportation von Juden aus Frankreich verstrickt. Der Druck der Klarsfeld-Kampagne führt dazu, dass Achenbach von seinem Berichterstatter-Posten zurücktreten muss.

"Lex Klarsfeld" ermöglicht Prozess

1975 ist es dann soweit: Beate Klarsfeld ist im Bundestag dabei, als das Zusatzabkommen ratifiziert wird. Der in den Medien als "Lex Klarsfeld" bezeichnete Vertrag macht den Weg frei für den Lischka-Prozess. 1979 wird der ehemalige SS-Obersturmbannführer vor dem Kölner Landgericht angeklagt. Rechtsanwalt Serge Klarsfeld vertritt mehrere hundert Hinterbliebene als Nebenkläger. 1980 wird Lischka wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Stand: 01.04.2011

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