Freischwinger

Stichpunkt

23. Februar 1986 - Mart Stam stirbt in Goldbach

Die Idee zu seiner berühmtesten Erfindung hat der niederländische Architekt und Designer Mart Stam in den zwanziger Jahren. Seine erste Frau erwartet ein Kind und klagt über Rückenschmerzen. Nichts scheint sie sich sehnlicher gewünscht zu haben als einen Stuhl, der sie entlastet.

Zumindest der Legende nach ist dies der Grund, warum Mart Stam zu experimentieren beginnt. Heraus kommt ein Stuhl, der nicht auf vier Beinen thront, sondern auf einem mit Muffen zusammengehaltenen kubischen Gestell aus handelsüblichen Gasrohren: der Prototyp des revolutionären Freischwingers ist geboren.

Fensterlose Schlafzimmer

Mart Stam kommt 1899 als Martinus Adrianus Stam im niederländischen Purmerend zur Welt. In seinem Wohnort absolviert er eine Lehre als Tischler oder Bauschreiner. Später arbeitet er in einem Architektur- und Städtebaubüro in Rotterdam.

Als Architekt will Stam Häuser bauen, die auf das Wesentliche reduziert sind. Mit 27 Jahren bekommt er auf internationaler Bühne die Gelegenheit dazu, seine Idee einzubringen: Unter der Leitung seines weltberühmten Kollegen Mies van der Rohe darf er neben Inneneinrichtungen auch drei Reihenhäuser in der Stuttgarter Weißendorfsiedlung gestalten, die im kubischen Stil der Neuen Sachlichkeit gehalten sind.

Stam baut Häuser mit Flachdächern und vielen Fenstern, um "Luft, Licht und Sonne" hereinzulassen. Nur das Schlafzimmer, lässt er fensterlos: weil man es, so lautet sein Argument, für gewöhnlich ohnehin im Dunkeln betritt.

Als Kommunist verschrieen

Stams Häusermodelle für die Weißenhofsiedlung finden wenig Anklang, und auch der Freischwinger kann sich zunächst nicht richtig durchsetzen. "Hässlich, so etwas Hässliches mit diesen Muffen!", soll Mies van der Rohe bei seinem Anblick ausgerufen haben: "Wenn er wenigstens abgerundet hätte, so wäre er schöner". Der Bauhaus-Designer Marcel Breuer wird den Stuhl mit seinem elastischen und abgerundeten Stahlrohrfuß später zum Klassiker weiterentwickeln.

1930 geht Stam nach Russland, um dort am Reißbrett Nomadendörfer in funktionale Industriestädte zu verwandeln. Als er nach fünf Jahren in seine Heimat zurückkehrt, gilt er als Kommunist. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er deshalb trotzig in die DDR übersiedeln. 1953 geht er zurück nach Amsterdam.

Seine letzten Lebensjahre verbringt Stam in der Schweiz, wo er zunächst von den Tantiemen seines Freischwingers ein Haus kaufen und leben kann. Als der Geldfluss versiegt, muss er in diversen Hotels leben. Mart Stam stirbt am 23. Februar 1986 im schweizerischen Goldbach.

Stand: 23.02.2011

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