Stichtag

17. September 2010 - Vor 30 Jahren: Uraufführung des Musicals "Les Misérables"

Der gute, ehrbare Jean Valjean: Einst wurde er als Verbrecher gejagt, weil er Brot stahl, um die Armen und Elenden zu speisen. 19 Jahre muss er dafür im Gefängnis schmachten. Als der reuige Samariter entlassen wird, gerät er vor dem Hintergrund der Pariser Aufstände von 1832 in ein lebenspralles Drama um Liebe und Gerechtigkeit, Schuld und Sühne, Gnade und Vergebung. Erdacht hat "Les Misérables" (die Elenden), das Sittengemälde des Pariser Prekariats zu Zeiten von "Bürgerkönig" Louis Philippe, Frankreichs Großschriftsteller Victor Hugo. 120 Jahre später gehen der Komponist Claude Michel Schönberg und Texter Alain Boublil das Wagnis ein, ausgerechnet mit diesem Stück Weltliteratur die musikalische Sphäre von "My Fair Lady", "Jesus Christ, Superstar" und "Evita" zu erobern.

Kommerz-Musiktheater mit National-Pathos

So staunt die Fachwelt nicht schlecht, als das Musical "Les Misérables" am 17. September 1980 im Pariser Palais des Sports seine umjubelte Uraufführung erlebt. Denn selbst den großen Evergreens des Genres war bis dato in Paris kein Erfolg beschieden - zu englisch-amerikanisch kommt das Kommerz-Musiktheater für den französischen Geschmack daher. "Les Misérables" dagegen begeistert durch nationales Pathos und spricht damit eindeutig ein frankophiles Publikum an; Inhalt und Dramaturgie setzen die Kenntnis von Victor Hugos Charaktere voraus. Doch der Engländer Cameron Mackintosh, einer der erfolgreichsten Impresarios des internationalen Musical-Booms, erkennt das internationale Potential dieser bombastischen Revolutionsballade mit ihren beinahe klassischen symphonischen Partituren.

Schüsse und Küsse

In Mackintoshs Auftrag schreiben Schönberg/Boulil das Elendsdrama um zu einer weltweit verständlichen Volks-Oper, zu einem Kostüm-Spektakel mit Pulverdampf, in dem die tragischen Zeitläufte auf der Drehbühne nur so dahinfliegen. 1985 wird die neue Fassung in London erstmals aufgeführt und erobert von dort die Welt. Allein am New Yorker Broadway hält sich "Les Misérables" 16 Jahre lang. 1996 kommt das Musical auch nach Deutschland. Mit dem extra erbauten Theater am Marientor erhält es in Duisburg eine eigene Spielstätte. Die Übersetzung der Londoner Fassung besorgt Rock-Poet Heinz Rudolf Kunze ("Dein ist mein ganzes Herz"), was ein kollektives Aufstöhnen des deutschen Feuilletons zur Folge hat. "Schuss reimt sich auf Kuss", höhnt ein Kritiker.Das Publikum ist anderer Ansicht. Immerhin 1,5 Millionen Besucher lockt das von mehr als 100 Schauspielern präsentierte Bühnen-Elend in die Musical-Diaspora Duisburg, bevor Ende 1999 nach 1.598 Vorstellungen der letzte Vorhang fällt. Seither tauchen "Les Misérables", wie kürzlich in Bonn, immer häufiger auch im Spielplan klassischer Opernhäuser auf.

Stand: 17.09.10