Stichtag

27. Dezember 2010 - Vor 65 Jahren: Abkommen über IWF und Weltbank tritt in Kraft

In Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire treffen sich im Sommer 1944 Vertreter von 44 alliierten Ländern zu einer internationalen Geld- und Finanzkonferenz. Die künftigen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs wollen Lehren aus der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 ziehen. Alle Länder hatten damals versucht, in einem Abwertungskreislauf ihrer Währungen die Krise auf andere abzuwälzen. Das Ergebnis war ein totaler Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Nun soll ein System fester Wechselkurse die Länder einbinden und so Wohlstand und Frieden sichern. Die Lehren des britischen Delegationsleiters John Maynard Keynes - wichtigster Ökonom seiner Zeit - prägen die Konferenz. Im entscheidenden Punkt aber setzt sich die USA als neue wirtschaftliche Supermacht durch: Weltleitwährung wird nicht die von Keynes vorgeschlagene, neu zu schaffende internationale Währung "Bancor", sondern der Dollar.

Das zerstörte Europa wiederaufbauen

Das sogenannte Bretton-Woods-System tritt am 27. Dezember 1945 in Kraft: Der Internationale Währungsfonds IWF soll über die Wechselkurse wachen und Defizit-Länder finanziell unterstützen. Die Weltbank soll mit günstigen Krediten den Wiederaufbau im zerstörten Europa fördern. Die sogenannten Schwestern von Bretton Woods mit Sitz in Washington haben heute 187 Mitgliedsländer.
Die beiden Organisationen tragen nach dem Zweiten Weltkrieg dazu bei, dass die Ära des keynesianischen Kapitalismus mit ihrer staatlichen Wirtschaftssteuerung zu einer Boomphase wird. Trotzdem haben beide einen Gründungsfehler, sagt Philipp Hersel, Finanzmarktexperte des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Das von Anfang an geltende Prinzip "ein Dollar - eine Stimme" bedeute: Wer zahlt, bestimmt. "Und die Zahler werden danach bestimmt, welchen Anteil an der Weltwirtschaft sie haben." Damit sei das Konzept von vornherein darauf angelegt, arme und kleinere Länder systematisch nicht zu berücksichtigen.

Neoliberale Strukturanpassungs-Programme

Ab Ende der 1970er Jahre wird der Neoliberalismus zur vorherrschenden Lehre, nach dem freie Märkte stets effektiver sind als staatliche Regulierung. Da stecken viele Länder der sogenannten Dritten Welt bereits in der Schuldenfalle: Kredite westlicher Banken sind in Prestigeprojekten, Waffenkäufen und Korruption versickert. Damit die westlichen Banken ihr Geld trotzdem zurückbekommen, tritt der IWF auf den Plan. Im Auftrag seiner Mehrheitseigner - der Regierungen der Industrieländer - übernimmt er die riesigen Schulden.
Im Gegenzug verordnet der IWF neoliberale "Strukturanpassungs-Programme": deutliche Senkung der Staatsausgaben, dazu Privatisierungen, Marktöffnung und Umorientierung auf den Export. Oft mit fatalen Folgen: Viele arme Länder müssen ihre Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Lebensmittelsubventionen streichen. Durch Privatisierungen geraten etwa Strom- oder Wasserversorgungen unter die Kontrolle multinationaler Konzerne. Weil in der Landwirtschaft der Export Vorrang haben soll, muss kleinbäuerliche Selbstversorgung riesigen Plantagen weichen. Die Marktöffnung in armen Ländern führt dazu, dass Industrieländer ihre Produkte ohne Zoll einführen können und die heimische Produktion verdrängt werden.

Im Namen von Konzernen?

Auch die Weltbank setzt sich seit Ende der 1970er Jahre die Armutsbekämpfung zum Ziel. Doch günstige Kredite gibt sie nur an Länder, die sich dem IWF und seinen Programmen unterwerfen. Zudem fördert sie statt kleiner Entwicklungsprojekte riesige Infrastrukturinvestitionen wie Staudämme. Deshalb gibt es seit den 1980er Jahren immer wieder Kritik von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen an Weltbank und IWF. Deren Ideologie der freien Märkte kritisiert 2005 auch der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der 2000 seinen Posten als Chef-Ökonom der Weltbank aufgegeben hat: "Der IWF ist mit dieser Ideologie verheiratet, weil er verheiratet ist mit einem speziellen Teil des politischen Spektrums mit ganz speziellen Interessen." Das seien Konzerne, die Gewinnmöglichkeiten sähen. "Und die drängen IWF und Weltbank, solche Privatisierungsinitiativen zu forcieren."
Im Zug der Weltfinanzkrise von 2008 gibt es bei Weltbank und IWF Anzeichen des Umdenkens: Manchmal empfehlen sie statt neoliberaler auch wieder keynesianische Rezepte. Zudem gibt eine Stimmrechtsreform großen Schwellenländern wie China mehr Einfluss. Die wirklich armen Länder bleiben aber außen vor. Den von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten europäischen Staaten wie Griechenland oder Irland verordnet der IWF derzeit genau jene Programme, die im Süden bereits verheerende Folgen hatten.

Stand: 27.12.10