Stichtag

20. Mai 2010 - Vor 495 Jahren: Erstes Nashorn betritt Europa

Papst Leo X. langweilt sich. Der Spross aus der Fürstenfamilie der Florentiner Medici wäre viel lieber Kriegsherr oder Künstler geworden, statt zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem heiligen Stuhl in Rom die Geschicke des christlichen Abendlands zu lenken. Glücklicherweise hat Portugals König Manuel I. ihm 1515 aus dem gerade erst entdeckten Indien ein gepanzertes Fabeltier angekündigt, das einige Abwechslung verspricht. Leo X. will es gegen seinen Kampf-Elefanten "Hanno" antreten lassen: Seit Wochen schon errichten die Arbeiter hierfür eine riesige Arena, in der neben den exotischen Giganten auch erlesene Gäste aus Europa Platz finden sollen.

Ein Tier für Indien

Bei dem Fabeltier aus Indien handelt es sich um ein Panzernashorn, und der politische Kampf, um den es bei dem Geschenk eigentlich geht, hat wahrhaft weltweite Ausmaße. Denn Manuel von Portugal fühlt sich bei der Aufteilung Südamerikas von Leos Vorgänger Alexander gegenüber Spanien benachteiligt. Beim päpstlichen Zuspruch der ostindischen Kolonien wollen die Portugiesen ein größeres Stück vom Kuchen haben. Hierzu dient das spektakuläre Geschenk, dessen Ruf ihm schon lange vorauseilt: Ein biblisches Ungeheuer soll es sein, das ganze Landstriche apokalyptisch verwüsten kann. Der Kampf der Giganten verspricht also spannend zu werden.

Kein Kampf der Giganten

Am 20. Mai 1515 geht das Rhinozeros im Hafen von Lissabon an Land und wird auf dem Landweg über Frankreich weitertransportiert. Ein Holzschnitt Albrecht Dürers macht es innerhalb weniger Monate in ganz Europa bekannt. Damit das Tier schnell in Leos Arena kann, soll es die letzte Etappe von Marseille aus mit einem flotten Segler reisen. Doch nur eine Tagesreise von der italienischen Küste entfernt versinkt das Schiff mit Mann und Maus. Das Nashorn kann nur mehr tot geborgen werden und verstaubt anschließend ausgestopft im Museum des Vatikans. Der Kampf mit "Hanno" bleibt aus, im Streit um Ostindien gibt es vorerst keinen Sieger.Für den eitlen und verschwendungssüchtigen Papst tun sich bald schon ganz neue Grabenkämpfe auf: Zwei Jahre nach dem Tod des Nashorns veröffentlicht Martin Luther seine 95 Thesen und entfacht damit die Reformation.

Stand: 20.05.10