Stichtag

18. April 2010 - Vor 30 Jahren: Premiere des Films "Der Kandidat"

"Ihr wäret die besten Schüler von Dr. Joseph Goebbels gewesen", ruft Franz Josef Strauß (CSU) im Herbst 1979 johlenden Demonstranten in Essen zu. Der bayerische Ministerpräsident wird auf dem Rednerpodium mit Eiern beworfen und verschanzt sich hinter Regenschirmen: "Ihr wärt die besten Anhänger Heinrich Himmlers gewesen. Ihr seid die besten Nazis, die es je gegeben hat." Die Szene ist Teil des Films "Der Kandidat", der am 18. April 1980 Premiere hat. Vier Filmemacher wollen verhindern, dass Strauß bei der Bundestagswahl im Oktober 1980 Kanzler wird - als Kandidat der Union. Die Regisseure Volker Schlöndorff, Alexander Kluge, Stefan Aust und Alexander von Eschwege unterstützen mit ihrem Film-Porträt die linke Kampagne "Stoppt Strauß!".

Chronologie der Affären

In der ersten Einstellung des Films fliegen Hubschrauber über den Rhein in Richtung Bonn. Düstere Musik und Abenddämmerung verbreiten mulmige Stimmung. "Unser Leben wird bewacht von den Politikern", heißt es im Kommentar. "Seit kurzem tritt ein Kandidat auf." Dann ist Strauß beim politischen Aschermittwoch 1980 in Passau zu sehen. Auf einem Transparent steht: "Die Blumen für Mutti, Strauß für uns alle." Es folgt ein Rückblick auf die Affären, mit denen Strauß als Bundesverteidigungsminister zu tun hatte. Dazu gehört seine Entscheidung in den 1950er Jahren, das amerikanische Jagdflugzeug Starfighter zu beschaffen. Es gibt unbewiesene Vorwürfe, Strauß habe dafür Bestechungsgelder angenommen. Die Beschaffung des Starfighters endet im Desaster: Fast 30 Prozent der Flugzeuge stürzen ab, 116 Piloten sterben. Der Film zeichnet auch die sogenannte Spiegel-Affäre nach: Das Nachrichtenmagazin hatte über atomare Planungen der Bundeswehr berichtet. Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und Redakteur Conrad Ahlers, der sich in Spanien aufhält, werden wegen angeblichen Landesverrats verhaftet. Vor dem Parlament will Strauß sich aus der Verantwortung stehlen, gibt allerdings nach einer dreitägigen Fragestunde zu, beim Franco-Regime persönlich Amtshilfe für Ahlers' Verhaftung angefordert zu haben. Eine eindeutige Überschreitung seiner demokratisch legitimierten Kompetenzen.

Hauptsächlich von Augstein finanziert

Der Film über Strauß kommt nur in die Kinos, nicht ins Fernsehen. ARD und ZDF wollen sich im Wahlkampf nicht Unausgewogenheit vorwerfen lassen. Denn das Projekt wird hauptsächlich von Augstein finanziert. Auch Filmmaterial wird den vier Regisseuren nicht zur Verfügung gestellt: "Das öffentlich-rechtliche Fernsehen gab die Aufzeichnungen für diesen Film nicht heraus." Von der CSU kommt ebenfalls keine Unterstützung: Mal erhält das Filmteam keine Dreherlaubnis, mal wird es vor die Tür gesetzt. Knapp die Hälfte des Films wird aus Wochenschau-Material montiert. Nach gut zwei Stunden endet "Der Kandidat" mit Aufnahmen aus der Nibelungenhalle in Passau: Strauß gibt Autogramme, seine Anhänger feiern im Bierzelt Aschermittwoch und singen das Deutschlandlied.Bei der Bundestagswahl scheitert Strauß und zieht sich nach der Niederlage nach Bayern zurück. Sein Unions-Rivale Helmut Kohl (CDU) ist am Zug und macht es geschickter: Kohl lockt zwei Jahre später die FDP aus der sozialliberalen Koalition und löst die Regierung von Helmut Schmidt (SPD) ab. Damit widerlegt der Pfälzer Strauß, der im Film "Der Kandidat" sagt: "Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig."

Stand: 18.04.10