Stichtag

21. Juli 2010 - Vor 85 Jahren: Urteil im "Affenprozess" von Dayton

In Dayton, Tennessee, ist der Teufel los. Mehr als 5.000 Schaulustige, dazu Scharen von fliegenden Händlern und Reporter aus aller Welt haben das 1.800-Seelen-Nest im bibeltreuen Süden der USA in einen Rummelplatz verwandelt. Sie sind gekommen, um ein Gerichtsverfahren mitzuerleben, das als "monkey trial", als "Affen-Prozess" in die amerikanische Justizgeschichte eingehen wird. Einen Monat zuvor, im Mai 1925, ist der 24-jährige Biologielehrer John Thomas Scopes verhaftet worden. Er hat seinen Schülern Charles Darwins Lehre von der Entstehung der Arten vermittelt, was im fundamentalistischen Tennessee seit Beginn des Jahres per Gesetz verboten ist. "Wir in Europa fassen es nicht, daß ein Prozess wie der in Dayton überhaupt möglich ist", kommentiert der Beobachter des Berliner Tageblatts.

Das Gericht lässt beten

Als am 10. Juli die Hauptverhandlung beginnt, spielt der Lehrer keine Rolle mehr. Im Rampenlicht des ersten live im Radio übertragenen Prozesses stehen die zwei berühmtesten Juristen der USA. Die Anklage vertritt der Ex-Außenminister und Präsidentschaftskandidat William Jennings Bryan, ein missionarischer Kämpfer gegen die "verderbliche" Lehre, dass der Mensch vom Affen abstamme. Sein Kontrahent ist Clarence Darrow, der berühmteste Bürgerrechtler und Strafverteidiger des Landes. Überall im völlig überfüllten Gerichtsgebäude hängen Spruchbänder mit der Aufschrift "Lies deine Bibel täglich!". Richter John T. Raulston macht keinen Hehl aus seiner bibeltreuen Gesinnung und unterstützt die Anklagevertretung nach Kräften. Jeden Verhandlungstag lässt er mit einem Gebet einleiten.

Schuldig im Sinne der Anklage

Trotzdem kann Raulston nicht verhindern, dass der gewiefte und eloquente Darrow im Duell Wissenschaft gegen Glaube Darwins Lehre in überragender Weise verteidigt. Im abschließenden Kreuzverhör verstrickt er seinen Widersacher Bryan derart in Widersprüche, dass der Richter das Verhör am nächsten Tag kurzerhand abbricht und alle Aussagen Bryans aus dem Protokoll streicht. Am 21. Juli 1925 ziehen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Nach neun Minuten steht ihr Spruch fest: Schuldig. Richter Raulston verurteilt den angeklagten Biologielehrer daraufhin zur Mindeststrafe von 100 Dollar.Eindeutiger Sieger des "Affenprozesses" sind aber die Geschäftsleute von Dayton. Sie hatten den Lehrer Scopes – im Einvernehmen mit dem Gericht - als "Märtyrer" engagiert, um ihr Provinzstädtchen mit einem inszenierten Schauprozess schlagartig berühmt zu machen. Im Januar 1927 wird das Urteil gegen John Thomas Scopes vom Obersten Gerichtshof des Staates wegen eines Formfehlers aufgehoben. Weitere Versuche der Bürgerrechtsbewegung, das Anti-Evolutionsgesetz von Tennessee zu kippen, bleiben erfolglos. Der letzte Versuch scheitert im Jahr 1951.

Stand: 21.07.10