Stichtag

31. März 2010 - Vor 30 Jahren: Tod des US-Leichtathleten Jesse Owens

Auf der Aschenbahn des Berliner Olympiastadions warten die sechs schnellsten Männer der Welt auf das Finale im 100-Meter-Lauf. "Da trippeln sie wie Vollblutpferde", kommentiert der Reporter des deutschen Reichsfernsehens, "zwei Schwarze gegen vier Weiße. Europa gegen die USA. Der Kampf beginnt!" Ein Kampf in der Herzkammer des Nationalsozialismus, unter den Augen des Führers und Reichskanzlers. Einer der schwarzen Sprinter lässt die weiße Konkurrenz weit hinter sich, stürmt nach 10,3 Sekunden durchs Ziel und pulverisiert damit die Ideologie der Gastgeber von der arischen Überlegenheit. Begeistert skandieren die Zuschauer den Namen des Siegers. Von diesem Moment an sind die Olympischen Spiele von 1936 nicht mehr die Spiele Adolf Hitlers – es sind die Spiele von Jesse Owens.

James Cleveland "Jesse" Owens ist bereits mit dem Ruf eines Fabelwesens nach Deutschland gekommen. Im vorolympischen Jahr hatte der 1913 in Alabama geborene Sohn eines Baumwollpflückers bei einem US-Wettkampf innerhalb von 80 Minuten vier Weltrekorde aufgestellt, über 100 und 220 Yards, im Weitsprung und im 220 Yards Hürdenlauf. Das hatte es in der Leichtathletik noch nie gegeben. Bis Berlin reiht Owens weiter Sieg an Sieg. Dann, ausgerechnet beim olympischen Weitsprung, droht der US-Star bereits in der Qualifikation an Deutschlands Medaillenhoffnung Luz Long zu scheitern. Als Owens schließlich doch mit 8,06 Meter die Goldmedaille holt, ereignet sich eine der bewegendsten Momente der Spiele – festgehalten im berühmten Olympia-Film von Leni Riefenstahl. Noch in der Sprunggrube fällt der unterlegene Deutsche Long Owens um den Hals und gratuliert dem Freund zum Sieg. Hitler hat da das Stadion bereits verlassen, allerdings nicht, wie gerne kolportiert, um einen Handschlag mit dem schwarzen Goldmedaillen-Gewinner zu vermeiden, sondern aus Zeitgründen - der Weitsprung dauerte länger als geplant. Außerdem hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) Hitler nach vorangegangenen persönlichen "Siegerehrungen" nahe gelegt, von weiteren Empfängen in der Führer-Loge Abstand zu nehmen.

Als Jesse Owens mit seinem kraftvoll-eleganten Laufstil auch noch Gold über 200 Meter und mit der 4 x 100-Meter-Staffel holt, kennt die Bewunderung des deutschen Publikums keine Grenzen mehr. Die offizielle Nazi-Propaganda hält dagegen und deutet die Siege des "Negers" über die arische Rasse infam als Überlegenheit einer Raubkatze, die animalisch und unkontrolliert aus dem Dschungel hervorspringt. Die Triumphe von Berlin markieren den Höhepunkt in der ebenso steilen wie kurzen Karriere von Jesse Owens. Noch im Jahr seiner Rückkehr in die USA verliert der Ausnahmeathlet seinen Amateurstatus, weil er für 2.000 Dollar gegen ein Rennpferd angetreten ist. Von nun an bemüht sich Owens in wechselnden Jobs, seinen Ruhm als vierfacher Goldmedaillen-Gewinner zu versilbern, doch der wirtschaftliche Erfolg bleibt ihm ein Leben lang versagt. Als großer Sportsmann unvergessen, ehrt ihn Amerika 1976 mit der Freiheitsmedaille. Kurz darauf erkrankt der passionierte Kettenraucher an Lungenkrebs, der sich als inoperabel erweist. Am 31. März 1980 stirbt Jesse Owens mit 66 Jahren in Tucson, Arizona.

Stand: 31.03.10