Stichtag

09. Juni 2009 - Vor 125 Jahren: Grundstein zum Berliner Reichstag gelegt

Bei der Gründung des Deutschen Reiches wird der preußische König Wilhelm I. im Januar 1871 zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Kurz darauf bildet sich das Parlament: Im März wird der Reichstag gewählt. Doch für die 397 Abgeordneten gibt es noch keinen Plenarsaal. Deshalb beginnt die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Die Findungskommission sucht sich eine Stelle am damaligen Königsplatz in Berlin aus - wo bereits das Palais des polnisch-preußischen Diplomaten Athanasius Graf von Raczynski steht. Dieser ist keineswegs gewillt, das Feld zu räumen. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., Bruder und Vorgänger von Wilhelm I., hatte dem Grafen eine lebenslange Nutzung zugesichert. Nun werden bei der Suche nach einem Parlamentsstandort über 60 Alternativen geprüft, doch die Abgeordneten lehnen alle ab.

Als Übergangslösung dienen deshalb die Räume der Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM), die aus der Leipziger Straße in der Innenstadt nach Charlottenburg umzieht. Die Abgeordneten wollen vorerst sechs Jahren in ihrem Provisorium verweilen - schließlich werden daraus 23 Jahre. Denn erst nach Raczynskis Tod willigt dessen Sohn 1881 der Enteignung des Grundstücks am Königsplatz zu - für 1,1 Millionen Reichsmark Entschädigung. Das Gelände liegt unweit des Brandenburger Tors und zählt damals noch zu den Randgebieten Berlins. Dass der Parlamentssitz nicht im Zentrum der Stadt entstehen soll, gefällt dem Kaiser. Sowohl er als auch sein Enkel Wilhelm II. wollen den Reichstag klein und auf Distanz halten. Der Oppenheimer Architekt Paul Wallot, der den ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hat, muss deshalb seine Baupläne auf Wunsch des Kaisers mehrfach abändern.

Am 9. Juni 1884 wird endlich der Grundstein gelegt. Drei Generationen preußisch-deutscher Monarchen sind anwesend: Kaiser Wilhelm I., sein Sohn, der spätere Kaiser Friedrich III., und sein Enkel, der spätere Kaiser Wilhelm II., wohnen der Zeremonie bei. Der Grundstein ist ein Block aus Rackwitzer Sandstein mit den Maßen 110 mal 90 mal 75 Zentimeter. Später werden 3.000 Kiefernstämme von je rund fünf Metern Länge in den Boden gerammt, um den Bau zu stützen. Auf kaiserlichen Erlass verkleidet hellgrauer Sandstein aus Schlesien die Fassade und blaugrauer Granit aus dem Fichtelgebirge die Fronten. Architekt Wallot hat eine schwere Steinkuppel über dem Plenarsaal vorgesehen, doch Wilhelm I. ist sie zu groß. Sie soll das Stadtschloss nicht überragen und außerdem über die Eingangshalle gebaut werden. Als der Kaiser im März 1888 stirbt, legt Wallot neue Pläne für eine kleinere Kuppel über dem Plenarsaal vor. Wilhelm II. genehmigt den Vorschlag, aber er wird ausgetrickst. Denn die Kuppel überragt plötzlich doch das Stadtschloss. Der Kaiser tobt zwar über diesen "Gipfel der Geschmacklosigkeit". Aber mit der Schlusssteinlegung 1894 ist nach zehn Jahren Bauzeit auch das Parlamentsgebäude fertig gestellt.Die Beziehung zwischen Parlament und Monarchie bleibt auch in der Arbeit der Abgeordneten konfliktreich: Laut Verfassung ist der Regierungschef nicht etwa dem Parlament, sondern dem Kaiser verantwortlich. Dieser kann den Reichskanzler nach eigenem Gutdünken ernennen und entlassen. Immerhin: Der Staatshaushalt bedarf einer Mehrheit im Reichstag.

Stand: 09.06.09