Stichtag

24. Dezember 2004 - Vor 60 Jahren: Der letzte Heiligabend im Krieg

"Nachmittags kam mein Vater für ein paar Tage Soldaten-Urlaub nach Hause", erinnnert sich eine Zeitzeugin: "Da wollten wir ein richtig schönes Weihnachtsfest feiern, den Heiligen Abend. Gegen 18 Uhr kommt Fliegeralarm, gehen die Sirenen. Die Fensterscheiben klirren, dann geht das Licht aus und ich sehe die Decke auf mich zukommen. Geschrei. Und nachher Totenstille. Meine Schwester Margret ist von einem Betonklotz getroffen worden. Er hat ihr das Genick durchschlagen."Der Krieg macht an Heiligabend 1944 keine Pause. Das Sterben geht weiter. Dass es in vier Monaten vorbei sein wird, wissen die Menschen nicht, aber viele sehen das Ende kommen: Die Rote Armee steht vor Königsberg, die Westalliierten lassen sich auch durch Hitlers Ardennenoffensive nicht mehr zurück drängen. Während über dem verbliebenen Reichsgebiet englische und amerikanische Bomber fliegen, bombardiert Propagandaminister Joseph Goebbels die Zuhörer an den "Volksempfängern" mit Durchhalteparolen. "In guten Zeiten weiß der Mensch gar nicht, wie viel er in schlechten Zeiten auf sich zu nehmen willig und bereit ist", bläut er in seiner Weihnachtsansprache den kriegsmüden Deutschen ein. "Der Führer erfreut sich bester Gesundheit und ist erfüllt von höchster geistiger und seelischer Spannkraft."

Für viele deutsche Soldaten ist der Krieg schon vorbei. Sie verbringen ihre erste Weihnacht in Kriegsgefangenschaft. Der amerikanische Rundfunk in Europa öffnet für sie eine halbe Stunde lang sein Programm. So singen die Gefangenen vor dem Mikrofon "Stille Nacht, heilige Nacht" und senden Grüße an die Familien. Viele, die den verbotenen Feindsender hören, beeindrucken diese Lebenszeichen wohl mehr als Goebbels' Phrasen.

Stand: 24.12.04