Stichtag

19. Oktober 2008 - Vor 95 Jahren: Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft gegründet

Meist passiert es still und unentdeckt, mitten im Trubel der anderen Badenden. "Es gibt welche, die sind ertrunken, und zwei, drei Meter neben ihnen waren Badegäste, die haben es nicht gemerkt", berichtet Rettungsschwimmer Manfred Sommer. Jeden Sommer ist der 42-Jährige auf Sylt für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) im Einsatz. Allein im letzten Jahr starben nach Angaben der DLRG mindestens 484 Menschen in deutschen Gewässern. Ebenso viele konnten in letzter Sekunde von ehrenamtlichen Strandwächtern der DLRG vor dem Ertrinken gerettet werden. "Jeder Deutsche ein Schwimmer, jeder Schwimmer ein Retter", lautet der Leitsatz dieser weltweit größten Freiwilligen-Organisation ihrer Art. Seit 95 Jahren bringt sie den Menschen nicht nur das Schwimmen bei, sondern bildet sie auch aus, Ertrinkende in Sicherheit zu bringen und ihnen Erste Hilfe zu leisten. Den Anlass zu Gründung der DLRG lieferte im Juli 1912 ein tragisches Unglück auf der Insel Rügen.

An die 1.000 Schaulustige drängeln sich an jenem Sommersonntag auf der 600 Meter langen Seebrücke von Binz. Gespannt erwarten sie die Ankunft des Bäderdampfers "Kronprinz Wilhelm", als plötzlich der Pfeiler am Kopf der Landungsbrücke zusammenbricht und hunderte Urlauber in die Ostsee stürzen. Die Davongekommenen starren wie gelähmt auf das Chaos und sehen hilflos dem verzweifelten Überlebenskampf der Ertrinkenden zu. Nur knapp drei Prozent der Deutschen können zu jener Zeit schwimmen. Es dauert, bis wenigstens einige beherzte Männer eingreifen. Doch für 17 Menschen, darunter sieben Kinder, kommt an jenem Tag jede Hilfe zu spät. Neben dem Entsetzen über die Katastrophe breitet sich in der Öffentlichkeit auch tiefe Scham darüber aus, dass kaum jemand fähig oder willens war, Schlimmeres zu verhüten. Der Schock von Binz bewirkt, dass 15 Monate später, am 19. Oktober 1913, in Leipzig die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft gegründet wird.

Schon nach kurzer Zeit erteilt die DLRG in weiten Teilen des Landes Schwimmunterricht, bildet die ersten Rettungsschwimmer aus und errichtet Wachstationen an beliebten Badestränden. Das Engagement nach dem Vorbild der britischen Royal Life Saving Society zahlt sich aus. Mit steigenden Mitgliederzahlen und immer besserer Ausrüstung gehen die tödlichen Unfälle im Wasser kontinuierlich zurück. Gab es bei Gründung der DLRG jährlich rund 5.000 Tote durch Ertrinken, waren es 1960 nur noch etwa 2.000. Heute kommen noch rund 500 Menschen pro Jahr im Wasser ums Leben. Weil aber in den vergangenen Jahren reihenweise kommunale Bäder geschlossen worden sind, schlagen die Lebensretter nun Alarm: Immer weniger Schulen sind in der Lage, Schwimmunterricht zu erteilen. So können inzwischen laut DLRG mehr als 30 Prozent aller Kinder nach der Grundschule gar nicht oder nicht ausreichend gut schwimmen. Damit steigen auch die Nachwuchssorgen der DLRG, die sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: Bis 2020 wollen die Wasserretter die Zahl der Opfer durch Ertrinken noch einmal um die Hälfte auf 250 reduzieren.

Stand: 19.10.08