Stichtag

11. September 2008 - Vor 120 Jahren: Aufnahme des ältesten Tondokuments im DRA

Der Urahn von CD und DVD ist braun, weich, rund und hohl. Etwa 900 dieser knapp zehn Zentimeter großen Wachszylinder lagern in den klimatisierten Kammern des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) in Wiesbaden. Von den wenigsten wissen die Archivare, welche Ton-Schätze darauf gespeichert sind. Nur wenn Wissenschaftler oder Journalisten eine der ersten Klangkonserven der Technikgeschichte anfordern, werden die Audio-Altertümer auf ein modernes Medium überspielt. Wahrscheinlich ist, dass auf etlichen Zylindern ihr Erfinder Thomas Alva Edison höchstpersönlich zu hören ist. Mit Begeisterung hat das Technikgenie seine eigene Stimme immer wieder in Wachs verewigt. Die ersten dieser Edison-Walzen sind im Jahr 1888 entstanden; wann und wo genau, weiß heute aber niemand mehr. Als ältestes exakt zu datierendes Tondokument des Deutschen Rundfunkarchivs gilt eine Wachswalze mit der Stimme des Earl Stanley of Preston. Am 11. September 1888 verewigte Edison darauf die Rede des britischen Generalgouverneurs in Kanada anlässlich der Eröffnung einer Industriemesse in Toronto.

Das DRA, 1952 als "Lautarchiv des Deutschen Rundfunks" in Frankfurt gegründet, ist die älteste Gemeinschaftseinrichtung der ARD. Neben einem breiten Spektrum an historischen Bild- und Schriftdokumenten werden dort Tonaufnahmen aus allen Epochen gesammelt, restauriert und archiviert. Von Interesse sind dabei nicht nur Aufnahmen von historischer Tragweite, wie etwa Philipp Scheidemanns Ausrufung der Republik (1918) oder Goebbels' "Wollt ihr den totalen Krieg?", sondern auch banale Klänge des Alltags, die eine vergangene Epoche lebendig werden lassen. "In der Gegenwart die Vergangenheit für die Zukunft bewahren", umreißt Chef-Archivarin Anke Leenings das Ziel des DRA, das zu den größten Phonotheken Europas zählt. Neben den 900 Edison-Walzen und hochmodernen digitalen Speichermedien umfasst die Sammlung heute 90.000 Schellack-Platten, 19.000 Vinylplatten und rund 2.000 Schallfolien aus Gelatine, Blech, Aluminium und Hartgummi. Um diese Raritäten überhaupt hörbar machen zu können, lagern in den kilometerlangen DRA-Regalen auch Abspielgeräte aus jeder Ära der Technik-Geschichte, wie etwa Edisons legendärer Phonograph.

Seit 1998 betreibt das DRA einen zweiten Standort in Potsdam-Babelsberg. Dort wird die mediale Hinterlassenschaft des früheren DDR-Rundfunks dokumentiert und archiviert. Im Einigungsvertrag war das Erbe des im Dezember 1991 abgeschalteten Deutschen Fernsehfunks (DFF) schlicht vergessen worden. Kurz bevor das gesamte Archiv mit Millionen von Tonbändern, TV-Aufzeichnungen, Fotos und Schriftstücken an den Münchener Medienunternehmer und Rechtehändler Leo Kirch verkauft wird, übernimmt das DRA den zeitgeschichtlich bedeutenden Archivschatz. Viele Manuskripte und Sendemitschnitte ehemals linientreuer DDR-Redakteure bleiben aber wohl auf ewig in Privatarchiven verschollen. Zu groß ist die Gefahr für die weitere Karriere, sollten deren Beiträge einmal aus den Tiefen des DRA auftauchen.

Stand: 11.09.08